Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
daran, es mir zu erzählen?«
»Ich hatte andere Dinge im Kopf«, antwortete er matt.
»Ja, hattest du vermutlich.«
Eine halbe Ewigkeit schwieg sie.
»Also«, sagte sie schließlich. »Dann ist es vorbei, nicht wahr?«
Panik ergriff ihn. »Was ist vorbei?«
»Die Suche nach dem Siegel. Wir sind keinen Schritt weitergekommen.« Sie warf ihm ein verbittertes Lächeln zu. »Und so enden meine Bemühungen, meinem Bruder die Anerkennung im Tode zu verschaffen, die er im Leben nicht bekam. Und die er womöglich gar nicht verdiente. Aber ich schuldete es ihm.«
»Du schuldest ihm gar nichts«, erwiderte Nate schroffer als beabsichtigt.
»Oh, doch. Mein Bruder gab mir eine Aufgabe und weckte meine Liebe zu allem Antiken. Er hielt mich nicht ab, mein Studium sehr viel ausführlicher zu betreiben, als es die meisten Frauen sich je erträumen dürften. Er gab mir Florence, Miriam und Xerxes, eine seltsame Familie, ohne Frage, aber immer noch eine Familie. Mein Leben war nicht schlecht, Nathanial, und dafür schulde ich ihm fürwahr etwas, ganz gleich, wie er mich sah. Mir wurde kürzlich gesagt, egal wie hart ich arbeitete, was ich auch täte, er hätte mich nie geliebt. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass es das war, was ich wollte.«
Er fühlte mit ihr. Er sollte ihr sagen, dass er sie liebte, dass er sie für den Rest seiner Tage in seinem Leben wollte. Dass er sie niemals verlassen würde. Doch es ihr jetzt zu sagen, schien ihm, als würde er lediglich versuchen, ihren Schmerz zu lindern. Nein, seine Gefühle konnten warten.
»Gabriella.« Er ging auf sie zu, aber sie wich zurück.
»Bitte nicht.« Sie holte tief Luft. »Wenn du mich in deine Arme nimmst, werde ich dich lassen. Wenn du mich in dein Bett mitnimmst, werde ich das gleichfalls erlauben.« Ihre blauen Augen waren überschattet. »Ich habe eine Menge, über das ich nachdenken muss. Den Rest meines Lebens. Dich.«
»Mich?« Hoffnung regte sich in ihm.
»Ja, dich.« Sie schüttelte den Kopf und lief zur Tür, wo sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. »Ich vertraute dir.«
»Und ich habe dein Vertrauen nie verraten. Ich erzählte dir nicht alles, aber ich hatte es vor. Und ich habe dich nie belogen. Vertrauen, Gabriella, ebenso wie Ehrlichkeit, müssen auf Gegenseitigkeit beruhen.«
»Ich weiß, Nathanial.« Sie sah ihn an. »Genau wie ein Vertrauensvorschuss.«
Wann war das Siegel unwichtiger geworden als das, was sie bei Nathanial gefunden haben könnte?
Den Rest des Abends verbrachte Gabriella allein in ihrem Zimmer und mühte sich, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen. Nun warf sie sich im Bett hin und her, weil sie nicht einschlafen konnte. Was sie eigentlich nicht wunderte. Ihr ging viel zu vieles durch den Kopf.
Dass er Nachforschungen über sie angestellt hatte, war höchst ärgerlich, und dennoch konnte sie es ihm nicht verdenken. Sie hatte erwartet, dass er ihr vertraute, ihm indes wenig Grund dazu gegeben. Sie wollte wütend auf ihn sein, weil er ihr Quintons Beteiligung verschwiegen hatte, bezweifelte allerdings nicht, dass er es ihr über kurz oder lang erzählt hätte. Und seine Loyalität gegenüber seinem Bruder konnte sie ihm nicht vorwerfen – eine Loyalität überdies, die zweifelsohne erwidert wurde. Nathanial war solch ein Mann, ehrenhaft und ehrlich. Sie war eine Närrin, dass sie es nicht längst erkannt hatte.
Ja, sie hatte ihm vertraut. Stöhnend boxte sie ins Kissen. Offenbar tat sie es noch. Warum sonst hätte sie ihm all die Dinge gestehen sollen, die sie ihm gestanden hatte? Über ihre Gefühle für Enrico, die sie bisher nicht einmal sich selbst eingestanden hatte, geschweige denn einem anderen.
Und sie liebte ihn. Sie hätte es ihm sagen müssen, doch nachdem sie über Enrico gesprochen hatte, hätte es … erbärmlich geklungen. Anscheinend war sie feiger als sie gedacht hatte. Sie fürchtete sich davor, es ihm zu sagen. Sie fürchtete, er würde nicht wie sie empfinden, und sie hatte schreckliche Angst vor seinem Mitleid. Alles könnte sie hinnehmen, nur das nicht.
Überdies musste sie endlich einsehen, dass die Suche nach dem Siegel vorbei war. Hatte sie diesbezüglich nicht auch Nathanial gegenüber gelogen? Wollte sie tief in ihrem Herzen das Siegel nicht auch finden, um ihr eigenes Leben zu rechtfertigen, nicht bloß das ihres Bruders? Wäre der Triumph nicht gleichermaßen ihrer wie seiner gewesen? Hätte sie seinen Ruhm nicht mitgenossen?
So oder so, es war nicht mehr von Bedeutung. Außer dem
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