Pfand der Leidenschaft
verziehen.
Beatrix kicherte. »Fahr fort, Win!«
»›Das Ramsay House‹«, las Win laut vor, »›liegt eingebettet in einem kleinen Park mit stattlichen Eichen und Buchen, ausladendem Farnkraut und hübschen Grünflächen, auf denen Rotwild grast. Ursprünglich ein Herrenhaus im Elisabethanischen Stil, das 1594 fertiggestellt wurde. Es beherbergt mehrere lange Galerien, die für diese Epoche kennzeichnend sind. Das Anwesen wurde mehrmals umgebaut und renoviert, auch ein Ballsaal und ein klassizistischer Flügel wurden hinzugefügt.‹«
»Wir haben einen Ballsaal!«, entfuhr es Poppy.
»Wir haben Rehe!«, schwärmte Beatrix.
Leo drückte sich noch tiefer in seine Ecke. »Großer Gott, ich hoffe, wir haben Badezimmer.«
Es war bereits früher Abend, als der extra für diese Fahrt eingestellte Kutscher mit dem Wagen auf die mit Buchen gesäumte Auffahrt bog, die zum Ramsay Anwesen führte. Erschöpft von der langen Reise seufzten die Hathaways erleichtert auf beim Anblick des Hauses mit seinem hohen Dachfirst und den aus Ziegeln gemauerten Schornsteinen.
»Wie es wohl Merripen ergangen sein mag?«, fragte Win, über deren blaue Augen sich ein besorgter Schatten legte. Merripen, die Küchenmagd und ein Lakai waren schon zwei Tage zuvor angereist, um das Haus für die Ankunft der Hathaways herzurichten.
»Zweifellos wird er Tag und Nacht geschuftet haben«, erwiderte Amelia. »Er wird sich einen Überblick vom Haus gemacht, alles Wichtige vorbereitet und den Angestellten, die sowieso niemals wagen würden, ihm zu widersprechen, Befehle erteilt haben. Ich denke, er ist ganz in seinem Element.«
Win lächelte. Selbst in ihrem blassen und entkräfteten
Zustand war ihre Schönheit überwältigend. Ihr goldenes Haar schimmerte im fahlen Licht, ihre Haut glich feinstem Porzellan. Bei ihrem Anblick wären Poeten und Maler vor Ehrfurcht in Verzückung geraten. Beinahe war man versucht, sie zu berühren, um auch sicherzustellen, dass sie ein lebendes, atmendes Geschöpf und keine Skulptur war.
Die Kutsche blieb vor einem viel größeren Haus stehen, als Amelia erwartet hatte. Das eindrucksvolle Gebäude war von verwilderten Hecken und mit Unkraut überwucherten Blumenbeeten eingefasst. Nach ein wenig Gartenarbeit und einem ausgiebigen Zurückschneiden der Bäume, dachte Amelia, würde es wundervoll aussehen. Das Gebäude war reizend asymmetrisch, mit einer Fassade aus rotem Backstein, einem Schieferdach und unzähligen bleiverglasten Fenstern.
Der Kutscher klappte die Treppe aus und half den Herrschaften aus dem Wagen.
Amelia, die als Erste ausgestiegen war, betrachtete ihre Geschwister, die aus der Kutsche auftauchten. »Das Haus und der Park sind ein wenig heruntergekommen«, warnte sie. »Hier hat schon lange niemand mehr gewohnt.«
»Der Grund dafür liegt wohl auf der Hand«, witzelte Leo.
»Es ist malerisch«, erklärte Win strahlend. Die lange Fahrt von London hatte sie schrecklich erschöpft. Ihre schmalen Schultern hingen schlaff herab, die Haut über ihren Wangenknochen schien zu spannen.
Als Win nach einem kleinen Handköfferchen griff, das neben der Trittleiter des Wagens stand, hastete Amelia herbei und schnappte es sich. »Das werde ich
tragen«, sagte sie bestimmt. »Du wirst keinen Finger krümmen. Lass uns hineingehen, damit wir einen bequemen Ort für dich finden, an dem du dich ausruhen kannst.«
»Mir geht es ausgezeichnet«, protestierte Win, als sie im Gänsemarsch die Stufen zum Haus hinaufschritten.
Die Eingangshalle war mit einer Holzvertäfelung verkleidet, die einst weiß gestrichen war und sich mit den Jahren bräunlich verfärbt hatte. Der Boden war rissig und schmutzig. Eine prächtige geschwungene Steintreppe füllte das Ende der Halle aus, deren schmiedeeisernes Geländer mit Staub und Spinnweben überzogen war. Amelia bemerkte, dass bereits der Versuch unternommen worden war, einen kleinen Teil der Balustrade zu säubern, aber offensichtlich hätte man viel Zeit für die Fertigstellung der Arbeit gebraucht.
Merripen tauchte aus einem Korridor auf, der von der Eingangshalle wegführte. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt und trug kein Halsband. Sein Hemd war aufgeknöpft, und man konnte einen Blick auf seine gebräunte Haut erhaschen, die vor Schweiß glitzerte. Mit dem schwarzen Haar, das ihm in die Stirn fiel, und seinen dunklen Augen, die bei der Ankunft der Hathaway-Geschwister aufblitzten, machte Merripen eine äußerst vortreffliche Figur. »Ihr seid drei Stunden hinter
Weitere Kostenlose Bücher