Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Pfand der Leidenschaft

Titel: Pfand der Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
beunruhigt und fuhr sich mit den Händen über die Oberarme. Es war kalt, dachte sie, selbst für einen Herbsttag. Eine eisige Brise kroch an ihren Fußgelenken hinauf, unter den Saum ihres Kleides und bahnte sich einen Weg bis zu ihrem schweißgebadeten Nacken. Ihre Muskeln verkrampften sich, um dem sonderbaren Kälteschauer zu trotzen.
    Beide Männer verstummten. Leos Gesicht war ausdruckslos, sein Blick starr nach innen gerichtet.
    Es fühlte sich an, als würde die Luft in sich zusammensacken und eindicken, bis sie schwer wie Wasser war … Instinktiv trat Amelia einen Schritt zurück, weg von ihrem Bruder, bis sie auf einmal gegen Rohans Brust stieß. Seine Hand glitt zu ihrem Arm und umfasste behutsam ihren Ellbogen. Zitternd lehnte sie sich gegen seinen warmen, kraftstrotzenden Körper.
    Leo hatte sich nicht gerührt. Er schien mit huschendem Blick abzuwarten, als sei er fest entschlossen, die Eiseskälte in sich aufzusaugen. Als hieße er sie willkommen, sehnte sich geradezu nach ihr. Sein abgewandtes Gesicht war verzerrt und in Schatten gehüllt.
    Eine unüberbrückbare Kluft lag zwischen Amelia und Leo. Sie spürte den Widerhall einer Bewegung, leiser als ein Hauch, weicher als eine Daunenfeder …
    »Leo?«, murmelte Amelia besorgt.
    Der Klang ihrer Stimme schien ihren Bruder in die Gegenwart zurückzuholen. Er blinzelte und starrte sie mit beinahe farblosen Augen an. »Begleite Rohan hinaus«, sagte er barsch. »Außer du hast dich heute noch nicht genügend kompromittiert.« Er hastete davon. Als er sein Zimmer erreichte, schloss er die Tür mit einer ausladenden Handbewegung.
    Amelia konnte sich kaum bewegen, derart bestürzt war sie über das Verhalten ihres Bruders und die schneidende Kälte im Korridor. Langsam drehte sie sich zu Rohan um, der Leo mit festem Blick nachstarrte.
    Dann sah er zu ihr hinab, wobei er einen bewusst teilnahmslosen Gesichtsausdruck aufsetzte. »Es gefällt mir ganz und gar nicht, Euch schutzlos zurückzulassen.« In seiner Stimme lag ein ironischer Unterton. »Ihr braucht jemanden, der Euch auf Schritt und Tritt verfolgt und Euch vor Missgeschicken bewahrt. Aber andererseits braucht Ihr auch jemanden, der Euch einen Imker sucht.«
    Als Amelia erkannte, dass er nicht über Leo sprach, folgte sie erleichtert seinem Beispiel. »Würdet Ihr das für uns tun? Ihr würdet mir damit einen großen Gefallen erweisen.«
    »Natürlich. Dennoch …« Seine Augen funkelten gefährlich. »Wie schon gesagt, ohne eine gewisse Belohnung kann ich Euch nicht ständig aus der Patsche helfen. Ein Mann braucht einen Anreiz.«
    »Wenn … wenn Ihr Geld wollt, so kann ich Euch …«
    »Gütiger Himmel, nein!« Rohan musste amüsiert lachen. »Ich will kein Geld.« Im nächsten Moment
strich er ihr das Haar zurück und berührte mit den Fingerspitzen sanft ihre Wange. Seine hauchzarte Berührung war voller Sinnlichkeit und Verlangen, und Amelia musste schwer schlucken. »Auf Wiedersehen, Miss Hathaway. Ich kenne den Weg hinaus.« Er warf ihr ein vieldeutiges Lächeln zu und ermahnte sie: »Haltet Euch von Fenstern fern!«
    Auf der Treppe kam ihm Merripen entgegen, der mit gleichmäßigem Schritt die Stufen heraufeilte.
    Beim Anblick des Besuchers verfinsterte sich Merripens Miene. »Was tut Ihr hier?«
    »Anscheinend helfe ich dabei, Schädlinge zu vertreiben.«
    »Dann könnt Ihr damit beginnen, selbst das Haus zu verlassen«, knurrte Merripen.
    Rohan grinste gleichmütig.
     
    Nachdem Amelia ihre Familie über die Gefahren im oberen Salon in Kenntnis gesetzt hatte – der sogleich den Beinamen ›das Bienenzimmer’ erhielt -, erkundete sie die restlichen Räume mit äußerster Vorsicht. Sie stieß auf keine weiteren unliebsamen Mitbewohner, sondern nur auf Staub, Verfall und tiefe Stille.
    Aber das Haus hatte auch seine einladenden Seiten. Wenn die Fenster offen standen und das Licht auf den Boden fiel, der seit Jahren unberührt war, schien das Gebäude zu atmen, sich zu erneuern und instand setzen zu wollen. Das Ramsay House war im Grunde ein reizender Ort, verschroben, voller Geheimnisse und wundersamer Dinge, die nur auf den letzten Schliff warteten. Es ähnelte in gewisser Hinsicht der Hathaway-Familie.

    Am Nachmittag ließ sich Amelia in einen Küchenstuhl fallen, während Poppy Tee zubereitete. »Wo ist Win?«
    »Sie macht in ihrem Zimmer ein Nickerchen«, erwiderte ihre Schwester. »Nach dem ereignisreichen Vormittag war sie ganz erschöpft. Sie wollte es natürlich nicht zugeben, aber

Weitere Kostenlose Bücher