Pfand der Leidenschaft
»Wir kümmern uns darum, Bea. Wir werden alles zurückbringen, und niemand wird etwas erfahren. Sag mir einfach, was du genommen hast, und versuch dich zu erinnern, aus welchem Zimmer die Dinge stammen.«
»Hier … das ist alles.« Beatrix griff in die Tasche ihrer Schürze und ließ eine Handvoll Gegenstände in ihren Schoß fallen.
Amelia hielt den ersten Gegenstand hoch. Es war ein geschnitztes Holzpferd, kaum größer als ihre Faust, mit einer Mähne aus Seide und einem fein gezeichneten Kopf. Das Tier war abgenutzt vom vielen Spielen, und der Pferderücken war mit Zahnabdrücken übersät. »Die Westcliffs haben eine kleine Tochter«, murmelte sie. »Das muss ihr gehören.«
»Ich habe einem Baby sein Spielzeug gestohlen«, stöhnte Beatrix. »Das ist das Schlimmste, was ich je getan habe. Ich gehöre ins Gefängnis.«
Amelia hob den nächsten Gegenstand auf, eine Karte mit einem identischen Bildpaar. Sie vermutete, dass es in ein Stereoskop eingelegt werden konnte, einen Apparat, bei dem zwei Zeichnungen durch eine optische Täuschung zu einem Bild verschmolzen, das den Eindruck räumlicher Tiefe wiedergab.
Nun folgten ein Schlüsselbund und zum Schluss …
du meine Güte! … ein silbernes Siegel mit eingraviertem Familienwappen. Es war schwer, sehr kostbar und gehörte zu den Dingen, die von einer Generation zur nächsten weitervererbt wurden.
»Aus Lord Westcliffs Arbeitszimmer«, murmelte Beatrix. »Es stand auf seinem Schreibtisch. Ich werde mich jetzt erhängen.«
»Wir müssen das alles umgehend zurückbringen«, sagte Amelia und wischte sich mit der Hand die Schweißperlen von der Stirn. »Sobald sie bemerken, dass etwas fehlt, werden sie die Dienerschaft verdächtigen.«
Bei dem Gedanken schwiegen die drei Frauen vor Entsetzen.
»Wir werden Lady Westcliff morgen Vormittag einen Besuch abstatten«, sagte Poppy und klang ein wenig atemlos vor Sorge. »Ist morgen einer ihrer Besuchstage?«
»Das spielt keine Rolle«, entgegnete Amelia und versuchte mit aller Gewalt, ruhig zu wirken. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Du und ich, wir werden morgen hingehen, egal ob es der richtige Tag ist.«
»Soll ich euch begleiten?«, erkundigte sich Beatrix.
» Nein! «, riefen Amelia und Poppy wie aus einem Munde. Sie dachten wohl beide dasselbe – dass sich Beatrix womöglich bei einem zweiten Besuch wieder nicht zurückhalten konnte.
»Vielen Dank.« Beatrix schien erleichtert zu sein. »Obwohl es mir schrecklich leidtut, dass ihr immer meine Fehltritte ausmerzen müsst. Vielleicht sollte ich einfach alles zugeben und mich entschuldigen …«
»Darauf kommen wir zurück, falls wir auf frischer Tat ertappt werden«, fiel ihr Amelia ins Wort. »Erst
einmal versuchen wir, die Angelegenheit zu vertuschen.«
»Sollen wir Leo, Win oder Merripen davon erzählen?«, fragte Beatrix kleinlaut.
»Nein«, murmelte Amelia, nahm sie fest in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die zerzausten dunklen Locken. »Das ist eine Sache zwischen uns dreien. Ich werde mich mit Poppy um alles kümmern, meine Liebe.«
»Also gut. Vielen Dank.« Beatrix entspannte sich und schmiegte sich seufzend an ihre große Schwester. »Ich hoffe nur, dass ihr ungeschoren davonkommt.«
»Das werden wir natürlich«, versicherte Poppy fröhlich. »Mach dir keine Sorgen!«
»Das Problem ist so gut wie vom Tisch«, fügte Amelia hinzu.
Doch über Beatrix’ Kopf hinweg sahen sich Amelia und Poppy erschrocken an.
Zehntes Kapitel
»Ich weiß nicht, warum Beatrix so etwas tut«, sagte Poppy am nächsten Morgen, während Amelia die Zügel der Kutsche hielt. Sie waren auf dem Weg nach Stony Cross Manor und hatten das Diebesgut in den Taschen ihrer besten Tageskleider versteckt.
»Ich bin überzeugt, dass keine Absicht dahintersteckt«, erwiderte Amelia mit vor Sorge tief gefurchter Stirn. »Wenn doch, würde Beatrix Dinge stehlen, die sie wirklich besitzen möchte, wie Haarspangen oder Handschuhe oder Süßigkeiten, und sie würde im Nachhinein nicht alles zugeben.« Sie seufzte. »Es scheint immer dann zu geschehen, wenn bedeutsame Veränderungen in ihrem Leben eintreten. Beim Tod von Mutter und Vater, als Leo und Win erkrankten … und jetzt, nachdem wir unsere Vergangenheit hinter uns gelassen haben und nach Hampshire gezogen sind. Wir werden die Angelegenheit so gut es geht vertuschen und dafür sorgen, dass Beatrix in einer ruhigen und heiteren Atmosphäre aufwächst.«
»Die Worte ›ruhig‹ und ›heiter‹ sind
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