Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Melodie singen.« Ich stimmte an, sie fielen ein und lie— ßen einen Gesang erschallen, der so laut, so vielstimmig und mißtönend war, daß mir vor Schreck das Liederbuch aus der Hand fiel. Sie blökten wie eine Herde Hammel und hatten dabei keine Ahnung von ihrer stimmlichen Unzulänglichkeit. Jeder hielt sich selbst für eine Nachtigall, den Nebenmann aber für eine krächzende Krähe. Sie stießen sich mit den Ellbogen an und bedeuteten einander zu schweigen.
Ob sie noch die zweite Strophe singen sollten? Ich winkte entsetzt ab, sank auf einen Stuhl und überlegte. Die Mädchen sahen mitfühlend zu mir herüber, sie kannten die Brummer aus der Schule.
»Der Gesang muß ausfallen«, das war mein erster Gedanke. »Was werden die Leute sagen?« mein zweiter. Die Konfirmandeneltern wollten ihre Sprößlinge singen sehen. Es rührte sie zu Tränen, wenn das feierlich gewandete Häuflein vor dem Altar stand und Gottes Lob erschallen ließ. Da weinten die »Doden«, da schluchzten die »Däden«, da blieb kein Auge trocken.
»Ja nun«, sagte ich zu den mißratenen Sängern, »das wird eine harte Arbeit werden, denn blamieren wollen wir uns ja nicht. Ich denke, so fünf Nachmittage in der Woche müßt ihr schon dranrücken!«
»Was?!« schrien die Buben entsetzt. Sie hatten vor der Konfirmation ohnehin viel zu tun. Sie mußten im Wald Tannen schlagen und sie vor Kirche, Pfarrhaus und Schule aufstellen. Sie sollten zu Hause beim Weißein helfen, beim Schlachten und im Stall. Ihre Freizeit war knapp bemessen, und nun wollte diese Frau Pfarrer auch noch stundenlang mit ihnen singen?
»Was machen wir bloß? Ihr tut mir ehrlich leid!« Ich legte eine Pause ein, um ihnen Zeit zu geben, die Fron der nächsten Wochen deutlich vor Augen zu sehen. »Ich habe eine Idee«, sagte ich dann, »ihr könnt euch das Üben ersparen. Aber ich weiß natürlich nicht, ob ihr damit einverstanden seid.«
Doch, doch, sie wären damit einverstanden, wenn sie bloß nicht nachmittags singen müßten! Was für eine Idee? »Wenn ihr bei der Konfirmation nur den Mund bewegt und nicht singt, dann langt uns eine einzige Probe. Die Mädchen und ich, wir singen für euch und nehmen die vielen Proben auf uns. Aber ihr dürft keinem Menschen etwas davon erzählen!«
»Noi, noi, ganz gwieß net!« Kein Sterbenswörtchen würde aus ihrem Munde kommen! Frau Pfarrer könne sich darauf verlassen! Sie wären doch nicht blöd! »Gwieß wohr!« Sie dankten auch schön für die tolle Idee, und ob sie jetzt gehen dürften? Sie lärmten davon.
Betrübt schauten ihnen die Mädchen nach. Zu sechst konnten wir keinen dreistimmigen Satz singen, nicht mit diesen ungeübten Stimmchen. Aber da war der Mädchenkreis. Auf ihn konnte ich unbedingt zählen. Zusammengeschweißt durch Leichen- und Adventssingen, Theaterspielen, Kaffeetrinken und Stricken, erklärten sich die Mädchen freudig bereit, bei der Verschwörung mitzuwirken. So saß denn bei der Konfirmation der Mädchenkreis in der Sakristei und wartete auf seinen unsichtbaren Auftritt. Der feierliche Augenblick nahte. Die Konfirmanden nahmen Aufstellung zum Gesang. Verdeckt von einem Pfeiler stand der Mädchenkreis links von mir vor der Sakristei. Mit den Buben hatte ich eine Stunde lang das lautlose Auf- und Zuklappen des Mundes geprobt. Eine Übung, die ihnen ausgesprochen schwerfiel. Aber sie gaben sich Mühe. Sie waren mir dankbar, daß ich sie vor den leidigen Proben bewahrt hatte. Keiner lachte.
Ich gab die Töne zu den Konfirmanden hin, der Mädchenkreis nahm sie leise auf. Wir sangen. Das heißt: Die Konfirmandinnen piepsten, die Buben rissen die Mäuler auf, der Mädchenkreis sang in gewohnter Sauberkeit und heute am Sonntag auch in Fülle. Die Gläubigen waren entzückt, die Tränen flossen. Ein schöner Gesang! Diese Kinder jubilierten wie die Engel! Wer hätte das gedacht von solchen Lausebengels? Aber sie machten auch den Mund auf, drum klang es so voll und herrlich. Bei der zweiten Strophe wurde einer der Nichtsänger so überwältigt von der Schönheit des Liedes, daß ein lauter Brummer seiner Kehle entwich. Ein Schubs von rechts, ein Stoß von links brachten ihn wieder zur Besinnung. Mit töricht geöffnetem Mund verharrte er bis zum Ende des Liedes.
»Schö isch’s gwä!« sagte eine Konfirmandenmutter nach der Kirche zu mir. »Aber ihr hent au viel probt! Unser Bernd war ja eil Naslang bei euch im Pfarrhaus!«
Sie hatten es miteinander abgesprochen, die schlauen Burschen. Jeden
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