Pfarrers Kinder Muellers Vieh
einzige, die gegen Großmama zu mucken wagte, allerdings auch nur im geheimen.
»Martha liebe, ich will Essig mit Myrten!« Ich kannte die Passionsgeschichte auswendig, Martha nicht.
»Ach Jottchen«, sagte sie, »ach Jottchen, jetzt ist sie varrickt jeworden!«
Mutti brachte einen Becher. »Essig und Myrrhe«, sagte sie und Heß mich trinken. Es schmeckte sauer, aber gut. »Wann ist er gestorben, Mutti?«
»Um sechs Uhr.«
»Wieviel Uhr ist es?«
»Gleich wird es sechs sein!«
Mir wurde schwindlig. Dann kam Vati. Er sagte, es ist sechs Uhr und trug mich ins Bett.
Das war nur ein Karfreitag aus der langen Reihe, die sich schwarz durch meine Erinnerung zieht. Erst die Leidensgeschichte, dann der Kirchgang, dann Spinat, dann Stille oder die Klänge der Matthäuspassion, dann endlich die Befreiung um sechs Uhr abends.
Mein kleiner Bruder Christoph wehrte sich später verzweifelt gegen diese Seelenqual. Er lärmte durch die Zimmer, rief: »Vertragt euch! Seid nett zu mir! Seid lustig! Ich halts nicht aus!« Er kämpfte wild gegen die traurige Stimmung an, die er sich als allgemeinen Streit erklärte. Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als mit ihm zu lachen und zu spielen.
»Ist morden Tarlfreitag?« pflegte er zu fragen, wenn er aus den häuslichen Vorbereitungen schloß, daß der Schreckenstag nahte.
»Gelt du, da sin mir aber lustig! Gelt, da tun wir spielen?«
Er sparte sich seine Betthupferl, verklebte, angelutschte Bonbons, um sie am Karfreitag unter das Volk zu werfen, wenn traurige Stimmung aufkommen wollte. Eine Opfergabe für die Geister des Frohsinns.
In den nächstenjahren lud ich Christoph für die Osterferien zu uns nach Weiden ein. Nicht immer gelang es mir, seiner habhaft zu werden, denn auch die anderen Geschwister schickten dringliche Einladungen an den munteren Knaben. Jeder hoffte, mit seiner Hilfe den schwarzen Tag leichter ertragen zu können. Kam er zu uns, dann war die Traurigkeit gebannt. Er verbat sich Fastenkost und Passionsmusik, wollte nachmittags auf einer Waldwiese Fußball und abends Skat spielen. Er brachte immer eine Flasche Wein mit, ein scheußlich süßes Getränk, das wir mit Todesverachtung hinunterwürgten.
»Ist das eigentlich deine Lieblingsmarke?« fragte Manfred eines Karfreitags, als das ungeliebte Geschenk wieder auf dem Tisch erschien.
»Ach, Himmel, nein!« antwortete Christoph, »ich find den Wein furchtbar, aber ich dachte, ihr mögt ihn gern. Außerdem ist er billig.«
Unser erstes Osterfest in Weiden gedachte ich ganz besonders festlich zu gestalten. Ich schmückte das Haus mit frischem Grün, färbte Eier und griff zu russischen Osterrezepten, die mir leider gerade zu dieser Zeit in die Hände fielen. Als süße Köstlichkeit wurde ein Osterpudding angepriesen aus Quark, Eiern, Butter, Zucker und Rosinen. Er dürfe auf keinem russischen Ostertisch fehlen. Jeder, der einmal von ihm gekostet, würde ihn Zeit seines Lebens nicht mehr vergessen. Vier Tage vor dem Fest sollte diese Delikatesse zubereitet, in eine Windel gefüllt, in einen Blumentopf gepreßt und einige Zoll tief im Boden vergraben werden. Am Ostermorgen, so hieß es im Rezept, begebe sich die russische Familie in den Garten, hole den Topf — als symbolische Handlung — wieder aus dem Schöße der Erde hervor und feiere mit dem gestürzten und reichverzierten Pudding fröhliche Urständ.
Nun hatten wir aber im Herbst unseren Gartenboden mit einer ganzen Fuhre Mist bereichert. Ich fürchtete für das gute Aroma der russischen Spezialität, verzichtete auf die symbolträchtige Grabung und stellte den Blumentopf auf das Küchenfenster.
Durch das Loch im Topfboden tropfte gelbe Brühe, was mich von vornherein gegen diese Süßspeise einnahm. Manfred sagte ich nichts von der Brühe. Jemand mußte den Pudding ja essen.
Auch schwebte mir vor, ein Osterlamm aus Hefeteig zu backen für den festlichen Frühstückstisch. Nach der Blamage am Gründonnerstag aber fehlte mir die rechte Lust zum Backen. Dies war nun wieder ein großes Glück, denn über uns brach eine Osterhasenschwemme herein. Wohlgelungene, weiche Osterhasen aus Hefeteig mit Rosinenaugen und Bändchen um den Hals saßen in der Rabatte, standen nach dem Besuch der Mesnerin vor der Küchentür und lugten aus meinem Einkaufskorb, als ich den Bäckerladen verließ.
»Frau Pfarrer«, sagte der Meister, »kommet se mit en mei Backschtub, i muaß ehne ebbes zeige.«
Er führte mich in seine Backstube und zeigte mir Hefeteig in
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