Pflicht und Verlangen
schnelle Lösung versprechen, es wird sicher sehr
viel Zeit in Anspruch nehmen, das Richtige zu finden.«
» Dr.
Williams, ich wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn
Sie sich überhaupt der Sache annehmen würden. Und wenn es
Jahre dauert, so wäre ich doch überglücklich, wenn ich
dieses unförmige Ding«, sie zeigte unwillig auf das unter
dem Kleid verborgene Holzbein, »irgendwann in die Ecke stellen
könnte und nicht mehr anzusehen bräuchte.«
» Ich
verspreche Ihnen, mich der Sache mit allem Nachdruck zu widmen. Wenn
es mir gelingt, werden nicht nur Sie einen Nutzen davon haben, glaube
ich.«
» Nun,
das hoffe ich doch«, meinte Charlotte und lachte, »obwohl
mir Mary immerzu predigt, ich solle mehr Eigennutz an den Tag legen.
Nun denn – damit werde ich heute anfangen!«
Kapitel
42
» Sir,
hier möchte eine junge Dame zu Ihnen, darf ich sie
hereinführen?«
David
Battingfield blickte verärgert von seinen Unterlagen auf. »Um
wen handelt es sich denn, Otis?« Dass sein neuer Bürogehilfe
immer noch nicht gelernt hatte, die Klienten gleich nach ihrem Namen
zu fragen, erregte seinen Unwillen. Otis war schon seit einem
Vierteljahr bei ihm. Jetzt war es Mitte Juni und dem jungen Menschen
fehlte immer noch einiges an Schliff. Zum Glück war er nicht
sein einziger Mitarbeiter, sondern nur ein Lehrling. Otis errötete
auch sofort schuldbewusst – es bestand also Hoffnung –
und beeilte sich mitzuteilen: »Es handelt sich um eine gewisse
Miss Charlotte Brandon.«
David
ließ überrascht die Akte fallen, die er eben noch in Hand
gehalten hatte und rief: »Führen Sie sie sofort herein,
Sie Unglücksmensch, Sie können die Dame doch nicht vor der
Tür stehen lassen!« Damit hatte er nun wirklich nicht
gerechnet. Zwar hatte sich Charlotte Brandon schriftlich an ihn
gewandt und ihm mitgeteilt, dass sie sehr dankbar sei für die
überaus großzügigen Geldzuwendungen Lord
Battingfields und auch für die Übernahme der Kosten, die er
im Zusammenhang mit ihrem Unfall auf sich genommen habe und sie gemäß
seiner dringenden Bitte auch annehmen wolle, dass sie aber das
Angebot eines Wohnrechts auf Millford Hall nicht in Anspruch nehmen
wolle aus Gründen, die persönlicher Natur seien. Sonst
hatte er allerdings nichts mehr von ihr gehört. Da aber nun in
London in aller Munde war, dass der Prozess gegen the right
honourable Gaylord Terency und seine Mittäter eröffnet
wurde, war es allerdings auch nicht allzu verwunderlich, dass sie in
der Hauptstadt weilte. Vermutlich erwartete man eine Aussage von ihr.
Er
war äußerst gespannt darauf, die Frau kennenzulernen, die
seinen Bruder in einem so hohen Maße betört hatte. Laut
den Schilderungen von John musste es sich dabei ja um ein geradezu
überirdisches Wesen handeln. Allerdings war sein Bruder ein
verliebter Mann, und diese neigten naturgemäß zu größten
Übertreibungen.
Otis
ließ die junge Frau herein. David stand auf, um sie zu begrüßen
und auch, um sie neugierig in Augenschein zu nehmen. Was er sah,
gefiel ihm auf den ersten Blick außerordentlich gut, obwohl
sich die Besucherin auf einen Stock stützte und augenscheinlich
große Mühe beim Gehen hatte. Kein Wunder, sie hatte ja ein
Bein verloren durch die schrecklichen Vorkommnisse, die nun
gerichtlich verhandelt werden sollten und bei denen sein Bruder
ebenfalls eine große Rolle gespielt hatte.
Charlotte
Brandon lächelte ihn freundlich an, wobei David der wache Blick
ihrer großen braunen Augen auffiel, der das Gegenüber
sofort gefangen nahm. Man konnte nicht anders und musste sie
anschauen. Erst beim zweiten Hinsehen fiel ihm die zunehmend
verblassende Narbe auf, die über der rechten Schläfe
verlief und durch das seidige, dunkle Haar weitgehend verdeckt wurde.
» Guten
Tag, Mr Battingfield«, sagte sie, »verzeihen Sie, dass
ich Sie einfach so störe. Falls es Ihnen nicht genehm ist,
könnte ich auch ein andermal wiederkommen.«
» Nein,
nein, Miss Brandon, Sie stören mich keineswegs. Setzen Sie sich
nur«, sagte David und geleitete sie höflich zu einer
Sitzgruppe in einer kleinen Fensternische seines Büros, die er
für Besprechungen mit weiblichen Klienten zu nutzen pflegte, da
diese nicht gerne gegenüber des Schreibtischs Platz nahmen, wie
ihm Anne erklärt hatte.
Sie
neigte dankend den Kopf und ließ sich schließlich auf
einem der Sessel nieder. Sofort verwischte sich der Eindruck ihrer
Behinderung und ihre natürliche Anmut gewann die Oberhand. David
ahnte nun, warum John dem
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