Pflicht und Verlangen
Autorinnen sind allerdings bereits Vertreterinnen des
Viktorianischen Zeitalters ab 1837/38. Im vorliegenden Roman wurde
versucht – wenigstens in Ansätzen –, das eine mit
dem anderen zu verbinden. Das Regency war, entgegen des
romantischen und von Galanterie geprägten gesellschaftlichen
Bildes, das gemeinhin vermittelt wird und das natürlich auch
seine Berechtigung hat, ebenfalls eine Zeit extremer Entwicklungen,
gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Umbrüche
und Neuerungen. Historiker bezeichnen diese Phase, in die ja auch die Industrielle Revolution fällt, zuweilen als eine
geschichtliche Umwälzung, die nur dem Neolithikum vergleichbar
ist und in ihrer zeitlichen Dichte und Intensität in der
Geschichte als absolut einzigartig zu betrachten ist. England war der
früheste, entschiedenste und erfolgreichste Protagonist aller
dieser ganz Europa betreffenden Entwicklungen. Dieser Vielfalt in
einem einzigen Buch gerecht zu werden, ist natürlich ein
unmögliches Vorhaben. Deshalb können nur einzelne Aspekte
der Gesellschaft, soweit dies auch im Rahmen der Romanhandlung
möglich ist, beleuchtet werden. Vieles muss unerwähnt
blieben und somit entstehen zwangsläufig Ungenauigkeiten.
Um
dem geschichtsinteressierten Leser dennoch ein angenehmes und
annähernd befriedigendes Lesevergnügen zu ermöglichen,
finden sich ergänzend zu den Fußnoten im Text weitere
Hintergrundinformationen in den historischen Erläuterungen, die
dem Verstehen der Zeit und der Romanhandlung vielleicht förderlich
sein mögen. Wem diese Erläuterungen nicht genügen, dem
sei noch die Literaturliste ans Herz gelegt.
Ihre
Eva-Ruth
Landys
November
2011
Historische
Erläuterungen
Die
Zeit des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts vor der
Thronbesteigung Königin Viktorias, das Regency , wie der
Zeitraum zwischen 1783 und 1830 England betreffend auch genannt wird,
war eine spannende Zeit, in der die Wissenschaften, die Erkundung der
Welt, die Wirtschaftsentwicklung – aber auch die kritische
gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung – einen
fulminanten Aufschwung nahmen. Ich will mich jedoch zunächst dem
Leben in den Kreisen der High Society zuwenden.
Leben
der High Society
1783
übernahm Kronprinz Georg die Regierungsgeschäfte für
seinen an Porphyrie (eine schwere Stoffwechselstörung)
erkrankten Vater, George III. Er wählte als Residenz
Carlton-House und tat sich vor allem durch einen sehr kostspieligen
und ausschweifenden Lebensstil hervor, der beileibe nicht nur
Bewunderer fand. Politisch war er nur mäßig interessiert,
was die Wirtschaftsentwicklung anbetraf, war sie ihm weitgehend
gleichgültig. Das überließ er dem Parlament. Diese
Periode der Regentschaft des Kronprinzen, die der Epoche den Namen
gab, war andererseits geprägt durch ein reges gesellschaftliches
Leben der Upperclass, das sich in den Romanen einer Jane Austen
widerspiegelt und es gleichzeitig aus heutiger Sicht fast
ausschließlich zu einer Epoche von Romantik und Galanterie
verklärt, die so nicht zutreffend ist. Jane Austen sagte von
sich selbst, dass sie nur über das schreiben wolle, was sie
selbst kenne . So finden sich bei ihr eindrucksvolle Schilderungen
des Landlebens der Upperclass, die einprägsame Anschauung von
kleineren Festivitäten, Reisen und Besuchen von Verwandten
ebenso wie die Schilderung von Aufenthalten in den damals sehr
populären Badeorten wie Bath und Brighton und auch London ist im
Fokus der Schriftstellerin. Jedoch bleiben die wilden,
ausschweifenden Seiten der Gesellschaft weitgehend unerwähnt
oder werden nur dezent angedeutet. Dessen ungeachtet war die
Gesellschaft bei näherer Betrachtung eher ungalant als höflich,
vor allem deren männlicher Teil gab sich zügellosem
Glücksspiel und Alkohol hin – manchmal wurde sogar in den
beliebten Londoner Clubs, die nur den Männern vorbehalten waren,
das komplette Vermögen verspielt an einem einzigen Abend –
Mätressen und Kurtisanen waren durchaus üblich sowie
mancher eheliche Fehltritt. Ein Teil des Adels folgte darin dem
Beispiel des Prinzregenten, der ebenfalls ganz offiziell wechselnde
Mätressen (engl. »mistresses«) hatte, die auch
gesellschaftlich anerkannt wurden. So wird beispielsweise von
Wellington, dem gefeierten Sieger von Waterloo, berichtet, dass er
lange Jahre eine Beziehung zu einer stadtbekannten Kurtisane namens
Harriette Wilson unterhielt, in deren Schlafzimmer sich einfand, was
Rang und Namen hatte. Er zahlte ihr
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