Pflicht und Verlangen
müssen
wir uns unbedingt bewahren. Wie konnte so etwas nur passieren? Haben
die Gentlemen nicht auf Sie aufgepasst? John, wie konntest du?«,
wandte sich Lady Battingfield nun mit tadelnder Stimme an ihren
Ehemann. Sie wartete, wie üblich, seine Antwort nicht ab,
sondern führte Charlotte ins Haus, ohne sich noch um die beiden
zurückbleibenden Männer zu kümmern.
» Das
wäre das!«, seufzte Dr. Banning. »Wie sind deine
Pläne, John? Können wir uns noch in deinem Arbeitszimmer
über den angesprochenen Fall unterhalten oder soll ich demnächst
noch einmal vorbeikommen? Allerdings drängt die Sache etwas.«
Der
Captain hatte den beiden Frauen nachgesehen, die inzwischen im Haus
verschwunden waren, und schreckte nun, da er angesprochen wurde, auf:
»Wie? Ja, sicher! Ich denke, wir sollten das gleich erledigen.
Ich kann mich später umziehen.« Er winkte Banning zu sich
und betrat die Terrasse. »Komm doch bitte mit herein, Walter.
Cyril kann uns etwas zur Stärkung ins Arbeitszimmer bringen.«
Gemeinsam
betraten die beiden Männer das Haus und suchten das
Arbeitszimmer Battingfields auf. Dort angekommen entledigte sich der
Hausherr seines Mantels, den er achtlos über einen Stuhl warf
und bot seinem Freund einen Platz an.
Banning
legte, nachdem er es sich bequem gemacht hatte, die Fingerspitzen
aneinander und schaute den Captain mit einem prüfenden Blick
über den Rand seiner Brillengläser an. »Was ist mit
dir los, John? Ich kenne dich gut genug, um zu sehen, dass dir
irgendetwas schwer auf der Seele liegt. Und erzähle mir nicht
wieder, dass ich mich irre. Ich bin auch dein Seelsorger, wie du dich
vielleicht erinnerst … aber in erster Linie dein Freund.«
Battingfield
vermochte nicht sofort zu antworten. Unruhig verließ er seinen
Platz, den er eben hinter dem Schreibtisch eingenommen hatte, ging
zum Fenster, lehnte sich gegen den Fensterrahmen und sah hinaus. Es
war ihm anzumerken, dass er mit sich rang, aber nicht die Worte fand,
die er suchte.
Inzwischen
war Cyril eingetreten und hatte Getränke und einige Sandwiches
hereingebracht. Banning wartete geduldig, bis sie wieder allein
waren: »Nun …?«, fragte er. »Oder soll ich
einmal raten?«
Vom
Fenster her kam immer noch keine Antwort. Trotzdem spürte der
alte Seelsorger, dass es seinen Freund danach verlangte, sein Herz
auszuschütten. Also fuhr er unbeirrt fort: »Die Sache ist
die, dass du seit geraumer Zeit Gefühle für Charlotte
Brandon hegst und nun nicht weißt, was du tun sollst. Sei bitte
ehrlich zu mir, John! Ist auf dem Weg zur Sternwarte etwas geschehen,
was nicht sein darf? Hast du dich ihr etwa angetragen? Sie schien mir
etwas durcheinander zu sein und ich glaube nicht, dass das nur mit
dem Sturz zusammenhing.«
Battingfield
zögerte einen Augenblick, bevor er ergeben nickte. Dann wandte
er sich um und sah seinem Freund in die Augen: »Es ist wahr,
ich kann es wohl nicht verbergen. Ist es denn so offensichtlich?
Allerdings kann ich dich beruhigen: Es ist nichts vorgefallen. Miss
Brandon ist eine sehr anständige junge Frau. Sie hat mich
zurückgewiesen.«
Banning
stockte der Atem: »So hast du dich ihr erklärt?«
Battingfield
schüttelte, zur Erleichterung seines Freundes, den Kopf: »Nein,
natürlich nicht! Wie könnte ich sie so kompromittieren?
Auch ich weiß, was sich gehört. Aber als sie stürzte
…« Er zögerte. »Ich half ihr auf und hielt
sie in meinen Armen. Ich fühlte … es war …«
Es bereitete ihm sichtlich Mühe weiterzusprechen, aber dann
raffte er sich auf und sagte mit der Aufrichtigkeit eines
Beichtenden: »Ich hätte sie beinahe geküsst, Walter!
Ich konnte mich nur mit Mühe zusammennehmen. Um es freiheraus zu
sagen: Sie muss mein Verlangen gespürt haben. Es war nicht zu
übersehen, dass es ihr mehr als unangenehm war. Ich fürchte,
ich habe einen schweren Fehler begangen. Ich hätte ihr meine
Gefühle nicht zeigen dürfen, aber was konnte ich dagegen
tun? Vielleicht war diese Nacht in der Sternwarte ein großer
Fehler, obwohl sie doch so glücklich über die Aussicht auf
den Ausflug war. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich weiß ja,
dass ich sie in Bedrängnis gebracht habe. Sie hat mir immer
wieder zu verstehen gegeben, dass ich mich zurücknehmen muss,
anständig wie sie ist. Leichter gesagt als getan!« Er
lachte kurz freudlos auf. »Ach, Walter, was soll ich nur tun?«
Er sank auf seinen Sessel am Schreibtisch nieder, stützte sich
mit den Ellenbogen auf und verbarg sein Gesicht in den
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