Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
»in einer Ermittlung sind die ersten Tage am wichtigsten.«
Er reibt
sich verlegen den Nacken. »Bist du mir deswegen böse?«
»Nur ein
bisschen.«
»Wenn du
willst, können wir uns später bei mir zu Hause treffen«, schlägt er vor.
»Nein, lieber
ein andermal, wenn du mehr Zeit hast«, wehrt sie ab. »War ein langer Tag. Ich bin
müde.« Sie hält einen Moment inne. »War es Mord?«
»Wir gehen
davon aus. Seit heute Morgen läuft die Ermittlung auf Hochtouren.«
»Wie heißt
der Mann?«, gondelt sie zur nächsten Frage.
»Joe Roffler.«
Es fällt ihm auf, dass der Name keine Überraschung bei ihr auslöst.
»Woran ist
er gestorben?«, will sie wissen.
»Wahrscheinlich
Gift. Er hatte auch eine beträchtliche Menge Alkohol im Blut, aber gestorben ist
er an einer Atemlähmung.«
»Wann weiß
man Genaueres?«
»Das kann
dauern. Viele Substanzen sind nur nachweisbar, wenn man gezielt nach ihnen sucht.
Was wir aber wissen ist, dass der Mann HIV-positiv war.«
Sie sieht
ihn erschrocken an und denkt an Sascha.
»Was ist
los, Viktoria?«, fragt er nach.
Sie senkt
ihren Blick, dann sagt sie: »Wie furchtbar. Ob es der Tote wohl gewusst hat?«
»Keine Ahnung.«
»Wie sieht
es mit dem Todeszeitpunkt aus?«
»Wahrscheinlich
zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«
»Gibt es
Tatverdächtige?«
»Noch nicht.«
»Es wurde
also noch niemand festgenommen?«
»Nein.«
»Zeugen?«
Er schüttelt
den Kopf. »Sollen wir nicht lieber über etwas anderes reden? Zum Beispiel über dich?«,
lenkt er um.
»Was möchtest
du denn gerne wissen?«
»Zum Beispiel,
wie es deinem Vater geht?«
»Er ist
vor einem Jahr gestorben.«
»Das tut
mir leid. Und was ist aus deinem Kolumnenbuch geworden?«
»Es war
ein totaler Flop.«
»Und was
machst du so den lieben langen Tag?«
»Ich habe
einen Krimi geschrieben. Er ist fast fertig.«
»Gut. So
kannst du dein detektivisches Gespür ausleben, ohne mir in die Quere zu kommen«,
scherzt er.
Ihre Augen
blitzen schelmisch auf. »Das wird wohl kaum möglich sein.«
Er lehnt
sich im Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor seiner Brust. »Und warum nicht?«
»Weil ich
durch Zufall zwei Leute kenne, die mit dem Toten befreundet waren.«
»Durch Zufall?«
Er mustert sie argwöhnisch.
»Vergiss
nicht, dass ich hier in der Gegend viele Leute kenne.«
»Du hast
gewusst, wer der Tote ist, nicht wahr?«
»Ja«, bekennt
sie mit einem Lächeln. »Eine Bekannte hat es mir heute Morgen mitgeteilt.«
Er strafft
seine Schultern. »Also gut, wie heißen die beiden Personen?«
»Sascha
Engel und Alex Mannhart.«
Er notiert
sich die Namen.
»Sagen dir
die Comicstrips Zurich Downtown etwas?«
Er schüttelt
den Kopf. »Noch nie gehört.«
»Die sind
von Sascha Engel.«
»Ach so.«
»Die Comics
sind echt gut«, schwärmt sie. »Er karikiert die Schwächen der Zürcher bis ins peinlichste
Detail, jedoch auf sympathische Art und Weise.«
»Verstehe.
In welchem Zusammenhang steht dieser Engel zum Mordopfer?«
»Er war
sein Geliebter.«
»Sein Geliebter?«,
erkundigt er sich erstaunt.
»Ja.«
»Woher kennst
du diesen Comiczeichner?«
»Er war
ein Freund meines verstorbenen Mannes. Übrigens habe ich Sascha vorher kurz getroffen,
weil er unbedingt mit mir reden wollte. Er ist sehr unglücklich über den Tod seines
Freundes. Soll ich kurz zusammenfassen, was er mir gesagt hat?«
Er nickt
auffordernd. Während des Erzählens beobachtet er, wie sie sich immer wieder ungeduldig
eine Haarsträhne aus der Stirn wischt. Er liebt diese Geste, auch die zwei senkrechten
Falten, die sich zwischen ihren Augen bilden, wenn sie angestrengt nachdenkt. –
»Was für eine Art Mensch ist dieser Engel?«, will er wissen, als sie mit ihrer Zusammenfassung
fertig ist.
»Als Künstler
liebt er die großen Gefühle. Er ist sensibel und gefühlvoll. Was er tut, tut er
mit Herz.«
»Wie alt
ist er?«
»Wenn ich
mich richtig entsinne, achtundfünfzig.«
»Würdest
du ihn als impulsiv bezeichnen?«
»Ich würde
sagen, dass er seine Emotionen leidenschaftlich zum Ausdruck bringt.«
»Traust
du ihm einen Mord zu?«
»Nein«,
meint sie ohne zu zögern. »Er lebt seine Gefühle über das Zeichnen aus, indem er
sie sozusagen aufs Papier bannt. Warum in aller Welt sollte er seinen Liebhaber
vergiften?«
»Ach, da
gibt es viele Gründe. Aus Eifersucht oder Rache zum Beispiel. Ich werde mir deinen
Freund heute Abend mal vorknöpfen. Was ist mit dieser anderen Person, die du kennst?«
»Ihr
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