Philadelphia Blues
zu sagen. Warum war es nur so schwer? Er hatte sich die Wahrheit doch schon eingestanden. Warum konnte er sie in der Gegenwart von Devin nicht aussprechen? Es war doch nur Devin, der hier neben ihm saß, kein Inquisitor oder Ankläger oder Schlimmeres. Es war Devin. Sein bester Freund. Seit über zehn Jahren.
„Du kennst das Sprichwort, dass keine Antwort manchmal auch eine Antwort ist, oder?“, fragte Devin rhetorisch und daraufhin brachte Colin zumindest ein Nicken zustande. „Was erwartest du von ihm?“
„Ich will ihn für mich“, gestand er ein, nachdem Devin eine Hand auf seinen Oberschenkel gelegt und aufmunternd zugedrückt hatte.
„Aha, die Ehefrau also“, meinte sein Freund und Colin nickte ein weiteres Mal. „Und warum sagst du ihm das nicht?“ Devin seufzte, als er wieder schwieg. „Colin, du kannst dich nicht ewig vor einer Antwort drücken. Nennen wir doch mal alle Fakten beim Namen... Du liebst ihn, er liebt dich, ist aber verheiratet, weil das eben gut zum Ruf der Familie passt, korrekt?“
„Er hat es mir gesagt, Dev. Gesagt“, flüsterte Colin nervös. „Ich wäre am liebsten davongerannt.“
„Aber du bist nicht weggerannt?“, wollte Devin wissen und Colin schüttelte den Kopf. „Stattdessen scheißt du dir vor Angst in die Hose, weil deine bescheuerten Eltern dich damals weggestoßen haben und du fürchtest, dass er das auch macht, richtig?“
„Hm... Aua!“ Colin sah Devin empört an, der ihm einen Schlag auf den Hinterkopf gegeben hatte. „Was sollte das denn?“
„Colin, bei aller Liebe, aber bist du wirklich so dämlich?“ Devin sah ihn verärgert an und Colin runzelte verständnislos die Stirn. „Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass Mikael nur bei seiner Frau bleibt, weil er genauso Angst hat wie du? Warum soll er sich denn den Ärger mit einer Scheidung und dem garantiert folgenden Stress in seiner Familie antun, wenn du nicht zu ihm stehst? Der einzige, der dabei am Ende verlassen wird ist er, nicht du.“
Colin blieb im ersten Moment entsetzt der Mund offenstehen. Dann schüttelte er energisch den Kopf. „Das ist doch gar nicht wahr.“
„Und ob das wahr ist“, hielt Devin schmerzhaft ehrlich dagegen und wischte jedes Wiederwort mit einer Handbewegung beiseite. „Du erwartest von Mikael, sich ganz zu dir zu bekennen und was bietest du ihm dafür? Nichts. Ich wette, er würde sofort Nägel mit Köpfen machen, wenn du nur ein verdammtes Wort sagen würdest.“
„Das stimmt nicht, ich...“
„Wieso hast du mir das nicht gesagt?“, fragte Kilian plötzlich in seine Verteidigung hinein und Colin drehte sich erschrocken herum. Im nächsten Moment landete eine Akte neben ihnen auf der Couch. Es war die Akte, die Adrian ihm in Baltimore gegeben hatte. Die Akte, in der alle Details von Gwens Unfall standen, und die er auf einem Stuhl in seinem Schlafzimmer zu liegen hatte. Verdammt. „Ich war dabei! Ich saß neben Mum im Auto, als sie starb, und ich habe nichts getan. Nichts!“
Ach du Scheiße. Colin wurde übel. „Kilian...“
„Nein!“, schrie der ihn an und wandte sich abrupt ab, um zurück ins obere Stockwerk zu stürmen.
Colin war wie erstarrt, bis Devin ihm in die Seite schlug. „Geh' ihm nach! Beeil' dich. Er braucht dich, Colin.“
Wie sehr Kilian ihn brauchte, wurde Colin bereits wenig später bewusst, als er dem Buch gerade so ausweichen konnte, das Kilian nach ihm warf, sobald er dessen Zimmer betreten hatte. Nicht, dass Kilians geschrienes, „Hau ab!“ nicht ausgereicht hätte. Sein Neffe war völlig außer sich und daher wunderte sich Colin kein bisschen, dass Kilian sogar nach ihm schlug, als er ihn in seine Arme ziehen wollte. Normalerweise hätte er Kilian jetzt in Ruhe gelassen, aber er konnte es nicht. Er konnte einfach nicht an den Tränen vorbei, die in Kilians Augen standen, die der aber nicht zuließ. So wie er selbst es schon oft genug getan hatte. Deshalb griff Colin zu, als sein Neffe an ihm vorbei aus dem Zimmer flüchten wollte.
„Nimm deine Pfoten weg!“
„Nein.“ Colin zuckte zusammen, als Kilians Faust in seinen Rippen landete. Er griff dessen zweiten Arm, was sein Neffe mit noch mehr Gegenwehr beantwortete. Colin zog ihn in eine Umarmung. „Hör' auf, Kilian, bitte.“
„Ich kann mich nicht daran erinnern.“ Kilian kämpfte, schrie und weinte. Alles gleichzeitig, während er sich gegen seine Umarmung wehrte. „Wieso weiß ich nichts davon? Wieso kann ich mich nicht an den Unfall erinnern? Wieso
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