Philippas verkehrte Welt
lauter zu Frau Deggers.
»Na ja«, meinte sie und wiegte skeptisch den Kopf hin und her. »Ich habe mir die Pfote natürlich genauer angesehen. Gestern hat sie geblutet und über Nacht ist sie dann etwas angeschwollen. Aber Limette setzt sie bei nahezu jedem Schritt auf. Daher glaube ich nicht, dass eine Sehne gerissen oder sogar etwas gebrochen ist. Vielleicht sollten deine Eltern trotzdem mit ihr zum Tierarzt fahren. Nur zur Sicherheit.«
Papa beschloss, noch eine Nacht abzuwarten, und diese Entscheidung war eine gute Entscheidung. Denn als ich am nächsten Tag zusammen mit meinen Geschwistern, die unbedingt noch einmal hinter der Kastanie spielen wollten, wieder in die MarillenstraÃe kam, turnte Limette bereits im Innenhof herum. Frau Deggers war ebenfalls dort und unterhielt sich mit Herrn Lumme, dessen Tür zur Schusterwerkstatt weit offen stand.
»Oh, hallo, Philippa!«, begrüÃte sie mich und deutete auf Limette, die gerade einem welken Blatt hinterherjagte. »Wie du siehst, geht es deiner Katze schon viel besser.«
»Ja«, sagte ich glücklich, fing Limette ein und steuerte mit ihr im Arm die Treppe zu unserer Wohnung an.
»Wenn du nichts dagegen hast, komme ich gleich mal mit«, sagte Herr Lumme und folgte mir geschäftig. »Es ist ja nun schon ein paar Jahre her, dass ich die Wohnung angeschaut habe, und ich würde mir natürlich gerne erst noch mal ein genaues Bild machen, bevor ich endgültig zusage.«
Ich fuhr so schnell herum, dass Limette, die inzwischen ganz entspannt und laut schnurrend über meiner Schulter lag, sich schlagartig versteifte und mich ihre Krallen durch meinen Pulli hindurch spüren lieÃ. Mit einem Satz sprang sie von meiner Schulter herunter, raste auf die Kastanie zu und sauste an ihrem Stamm bis zur ersten Astgabel hinauf. Von dort aus blitzte sie mich aus ihren gelben Augen vorwurfsvoll an.
»Wie meinen Sie das?«, stieà ich an Herrn Lumme gewandt hervor.
Der Schreck, der mir in den Gliedern saÃ, und der Schmerz, den Limette mir verursacht hatte, lieÃen mich unfreundlicher klingen, als ich wollte.
Herr Lumme stutzte, kratzte sich an der Stirn und meinte schlieÃlich: »Dann gehe ich wohl recht in der Annahme, dass deine Eltern dir noch gar nichts davon gesagt haben.«
»Nein! Wovon denn?«, erwiderte ich.
Eine böse Ahnung lieà mir die Tränen in die Augen steigen und das machte mich wütend. So viel geheult wie in den letzten drei Wochen hatte ich bisher in meinem ganzen Leben nicht!
»Davon, dass es sinnvoll sein könnte, wenn ich eure Wohnung übernehme, sobald ihr ganz ausgezogen seid«, sagte Herr Lumme vorsichtig. »Ich wäre direkt über meiner Werkstatt und ich würde mich auch um deine Katze kümmern.«
Ich schluckte und schluckte und kämpfte tapfer gegen die Tränen an. Meine Wut gegen mich selbst änderte die Richtung und nahm nun meine Mutter ins Visier. Wie hatte sie mich nur so hintergehen können! Das würde ich ihr nie, niemals verzeihen!
»Ich will gar nicht von hier weg«, presste ich mühsam hervor.
Herr Lumme nickte. »Ach, weiÃt du, Philippa, das verstehe ich sehr gut. Aber manche Dinge lassen sich eben nicht ändern.«
Ja, aber nur weil ich mit meiner Meinung und meinen Gefühlen so völlig allein dastand. Hätten Krister und Josefine sich anders entschieden, könnte jetzt in diesem Moment alles anders aussehen. Mit fest aufeinandergedrückten Lippen blickte ich zu ihnen hinüber, sah, dass sie zu spielen aufgehört hatten und mich ebenfalls anschauten.
»Nicht weinen, Philippa!«, rief Josi und knetete mit beiden Händen ihren Kuschelmuschelhasen. »Bitte, bitte, bitte!«
»Wieso?«, meinte Krister schulterzuckend. »Lass sie doch. Du heulst ja auch, wenn dir was wehtut.«
»Ja, und du wohl nicht«, krähte Josefine und begann, mit dem Kuschelmuschelhasen auf meinen Bruder einzuschlagen.
»Schluss jetzt mit dem Theater!«, sagte ich energisch. »Ich stelle Limette noch frisches Futter hin und dann fahren wir nach Kaiserswerth zurück. Ich muss sofort mit Mama reden.«
Natürlich tat es ihr irrsinnig leid. Und natürlich hatte sie auch eine Erklärung für ihr Verhalten, die ich sogar irgendwie nachvollziehen konnte, aber trotzdem nicht als Entschuldigung akzeptierte.
»Ich hatte so sehr gehofft, dass du dich hier einlebst, Nneka und du euch
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