Philippas verkehrte Welt
anfreundet und vielleicht sogar unzertrennlich werdet und du es in ein oder zwei Monaten selbst für eine gute Lösung halten würdest, wenn Herr Lumme in unsere alte Wohnung zieht und für Limette sorgt.«
»Nein, Mama, nein!«, brüllte ich, rannte in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu.
Es war Unverständnis. Es war Verrat. Und es tat weh. Weh. Weh. So unendlich weh.
Ich hatte dieses neue Leben versucht, aber es funktionierte nicht. Ich vermisste mein altes Zuhause noch viele tausende Male mehr, als ich gedacht hatte. Mir fehlte Limette. Mir fehlte Mariel. Mir fehlte einfach alles. Die Heimkinoanlage und die coole Einrichtung hier im Gästehaus waren kein Ersatz, auch die groÃe, beinahe schon luxuriöse Wohnung, der schöne Garten und das riesige Anwesen nicht. Mit Nneka hatte ich mich angefreundet, aber das war nicht das Gleiche wie das, was mich früher mit Mariel verbunden hatte.
Das einzig Positive in meinem unfreiwillig neuen Leben war Jona. Jona war der Einzige, mit dem ich über alles reden konnte, der mir zuhörte und der mich wirklich verstand, der jetzt aber leider ebenfalls Ferien hatte und von dem ich weder die Handy- oder Festnetznummer noch die Adresse kannte.
Natürlich hatte ich gleich am nächsten Tag das Telefonbuch durchgeblättert, in der Hoffnung, dass es den Namen Schmiede wenigstens in meiner Stadt nicht allzu häufig gab. Doch Pustekuchen! Er füllte sage und schreibe drei Spalten. Sämtliche Nummern nacheinander abzutelefonieren, schien mir etwas für die Sekretärin eines Kriminalbüros zu sein. Ich hatte jedenfalls keine Lust, mir womöglich hundertfünfzigmal anhören zu müssen, dass man einen Jona nicht kenne. AuÃerdem hätten meine Eltern gar nicht zugelassen, dass ich stundenlang das Telefon blockierte.
Also versuchte ich, die Osterferien ohne Jona zu überstehen, und erzählte bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit Nneka von Limette und der Sache mit Herrn Lumme.
»Frau von Helsing mag keine Tiere, die gröÃer als Meerschweinchen oder Kaninchen sind. Du brauchst sie also gar nicht erst zu fragen«, war ihr erster Kommentar. »Celia wünscht sich schon lange einen Hund, sie kriegt aber keinen, weil Hunde Dreck und Arbeit machen. Na ja, und ansonsten würde es mir gefallen, wenn du hier wohnen bliebest«, fügte sie mit einem breiten Lächeln hinzu. »Deshalb finde ich die Idee deiner Mutter gar nicht so schlecht.«
»Sie hat mir eine Lösung versprochen«, hielt ich dagegen.
»Und gefunden«, sagte Nneka.
»Sie hat mich hintergangen!«, betonte ich, aber auch dafür hatte Nneka nur ein Schulterzucken übrig. »So sind sie nun mal, die Mütter«, erwiderte sie. »Sie wollen immer nur unser Bestes.«
Das mochte ja durchaus stimmen, allerdings arrangierten sie dieses Beste stets, ohne sich mit uns abzusprechen. Und genau das war es, was ich meiner Mutter übel nahm.
In den folgenden Tagen herrschte eine angespannte Stimmung zwischen uns. Ich ging Mama möglichst aus dem Weg, und sie sprach mich nur an, wenn es nötig war. Ein einziges Mal versuchte sie abends, als ich schon im Bett lag, mit mir zu reden, doch ich schickte sie unter dem Vorwand, dass ich todmüde sei, aus dem Zimmer.
Ich wäre lieber heute als morgen in die MarillenstraÃe zurückgezogen, und es gab für mich auch überhaupt keinen ersichtlichen Grund, weshalb das nicht möglich sein sollte.
Die Strecke zwischen unserer alten Wohnung und Kaiserswerth dauerte mit Bus und U-Bahn knapp vierzig Minuten, mit dem Auto konnte man sie sogar in einer halben Stunde schaffen. Als Papa noch Taxi fuhr, brauchte er zuweilen über eine Stunde für den Heimweg, je nachdem, wohin er seinen letzten Fahrgast kutschiert hatte. Und den Dienst, den er hier in der Villa und auf dem Anwesen angeblich auch nachts erledigen sollte, hatte Frau von Helsing â soweit ich das mitbekommen hatte â noch gar nicht in Anspruch genommen. Verdammt! Je länger ich darüber nachdachte, desto gröÃer wurde meine Wut auf sie, und ich war mehr als ein Mal kurz davor, meinen Eltern zu sagen, dass sie uns nur deshalb zwang, hier zu wohnen, weil sie wollte, dass ich mich mit Celia anfreundete. Ich befürchtete allerdings, dass Mama und Papa mir das nicht glauben würden, solange ich ihnen keine eindeutigen Beweise für diese ungeheuerliche Behauptung lieferte.
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