Philosophenportal
Friedrich Böttiger experimentierte zu Beginn des 18. Jahrhunderts jahrelang mit dem Ziel, Gold mit Hilfe chemischer Substanzen zu erzeugen. Ihm gelang etwas ganz anderes: die
Herstellung des Porzellans.
Genau solche Entdecker, deren Funde weit über das hinausgehen, was sie selbst gesucht haben, gibt es auch in der Geschichte
der Philosophie. Der französische Mathematiker und Philosoph René Descartes gehört zweifellos zu ihnen. Heute ist es ein Allgemeinplatz,
dass die neuzeitliche europäische Philosophie den Pfaden gefolgt ist, die Descartes in seiner
Abhandlung über die Methode
erschlossen hat. Mit »Methode« meint Descartes einen neuen Zugang zur Erkenntnis der Welt und des Menschen, die sich vom theologisch
geprägten mittelalterlichen Denken grundsätzlich unterschied. Allerdings hatte Descartes mit seiner
Abhandlung
überhaupt nicht vor, die Grundlagen der christlichen Theologie zu untergraben. Er gab sich vielmehr alle Mühe, Gott und die
göttliche Weltordnung auf eine neue Art rational zu erschließen.
|65| Die Behauptung, Gott offenbare sich in der äußeren Welt, in der Zweckmäßigkeit der Natur, überzeugte ihn jedoch nicht. Stattdessen
richtete er seinen Blick auf die Innenräume der Vernunft. Dass im menschlichen Subjekt, in seinen Denk- und Bewusstseinsprozessen,
der Schlüssel lag, um sich der Wahrheiten über »Gott und die Welt« zu vergewissern, war ein Gedanke, der sich als revolutionär
erweisen sollte. René Descartes hat mit seiner
Abhandlung über die Methode
eine erste Erkundungsreise in dieses bisher noch unerforschte Land gemacht. Diejenigen, die sich auf seine Spuren begaben,
stellten fest, dass er, weit über seine ursprünglichen Absichten hinaus, die Philosophie zu einem neuen, großen Kontinent
geführt hatte.
Descartes’ ungeheure Wirkung in der Philosophiegeschichte steht in eigentümlichem Gegensatz zu seinem Leben, das er ständig
auf der Flucht vor der Öffentlichkeit verbrachte. Dies hing vor allem mit seiner Furcht zusammen, in die Fänge der kirchlichen
Zensur zu geraten. In Frankreich hatte zwar der religiöse Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts durch das Toleranzedikt von Nantes 1598 ein Ende gefunden, doch die Verfolgung anders Denkender durch die katholische
Amtskirche hielt ungebrochen an. Die Kirche sah sich nicht nur durch den Protestantismus, sondern auch durch die Thesen der
neuen empirischen Naturwissenschaften herausgefordert.
Das von der Kirche propagierte Weltbild, das von der Naturphilosophie des Aristoteles und von der sich an ihn anschließenden
mittelalterlichen Scholastik geprägt wurde, war vor allem durch die Theorie des Kopernikus in Frage gestellt worden, nach
der sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne dreht. Jede abweichende theologische, philosophische oder
wissenschaftliche Aussage hatte gesellschaftspolitische Sprengkraft und konnte Karriere und Existenz vernichten. So wurde
der italienische Philosoph und Dominikanermönch Giordano Bruno, der die These von der Unendlichkeit des Universums vertrat,
im Jahr 1600 auf dem Campo dei fiori in Rom öffentlich verbrannt.
Der 1534 gegründete Jesuitenorden hatte die Aufgabe, die Kirche intellektuell zu modernisieren, um den neuen Entwicklungen
entgegentreten |66| zu können. Die überall entstehenden jesuitischen Bildungseinrichtungen errangen schnell Berühmtheit. René Descartes wurde
in einer solchen Schule erzogen. Sein Vater gehörte dem niederen Adel an, was dem Sohn nicht nur eine gute Ausbildung ermöglichte,
sondern auch von einer Erwerbstätigkeit unabhängig machte.
1596, vier Jahre nach dem Tod Montaignes geboren, trat Descartes 1604 in das etwa zweihundert Kilometer südwestlich von Paris
gelegene Collège Royal in La Flèche ein, eine Eliteschule, die erst ein Jahr zuvor gegründet worden war. Das Lernprogramm
war auf dem nach damaligen Maßstäben neuesten Stand. Es umfasste neben Latein und klassischer Literatur Logik und Ethik, aber
auch Physik und Mathematik. Auch die Beschäftigung mit ganz »modernen« wissenschaftlichen Forschungsgebieten wie der Astronomie
oder der Optik wurde von den Jesuiten keineswegs blockiert, sondern im Gegenteil gefördert. In La Flèche wurde Descartes’
Leidenschaft für die Wissenschaften und insbesondere für die Mathematik geweckt.
Nach Abschluss der Schule 1612 erwarb Descartes zwar noch ein juristisches Diplom an der Universität von Poitiers, doch er
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