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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
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Individuellen gegenüber dem Allgemeinen ist eines der Charakteristiken
     der Renaissance. Sie war die Zeit, in der die europäischen Seeleute fremde Kontinente und Völker entdeckten und die Künstler
     begannen, ihren Blick auf realistische Details zu richten. Nicht zufällig haben sich in der Malerei dieser Zeit die räumliche
     Perspektive und die Porträtmalerei durchgesetzt. Diesen »realistischen« Blick hat auch Montaigne. Für ihn ist die charakteristische
     Einzelheit wichtiger als eine mögliche theoretische Bedeutung. Montaigne ist ein unermüdlicher Jäger und Sammler von Erfahrungsmaterial,
     sei es auch scheinbar noch so unbedeutend. Deshalb zeichnen sich seine
Essais
durch eine Liebe zum Besonderen, durch eine Fülle von Details aus, die nicht zusammenhängend oder stimmig sein müssen, die
     aber die Augen für die Vielfältigkeit der Welt öffnen sollen.
    Durch diese Art der empirischen Selbstbeobachtung und Selbsterforschung wird Montaigne zu einem der Väter der modernen Anthropologie, |58| der Lehre vom Menschen. Die scholastische Philosophie des Mittelalters sah den Menschen über die Natur erhoben und durch die
     vom Körper getrennte, unsterbliche Seele mit Gott verbunden. Eine solche Trennung von Mensch und Natur und von Körper und
     Geist widerspricht nach Montaigne aber der Erfahrung. Der Mensch bleibt für ihn Teil der Natur, den gleichen Bedürfnissen
     und Gefährdungen ausgesetzt wie andere Kreaturen. An sich selbst beobachtet er, wie eng geistige und körperliche Zustände
     miteinander verwoben sind. Deshalb widmet er sich auch ausführlich einem Thema, das in der mittelalterlichen Philosophie tabu
     war: dem Körper und seinen Funktionen.
    Wegen seiner Zugehörigkeit zur materiellen und sinnlichen Welt galt der Körper in der scholastischen Philosophie des Mittelalters
     als Hort der Sünde. Selbst Ärzte gerieten unter den Verdacht, mit dem Teufel zu paktieren. Montaigne dagegen redet oft und
     ausführlich über seine Krankheiten, über Geschlechtsverkehr, über Schlaf, über Essen und Trinken, über seinen kahlen Schädel
     und über seinen dichten Schnurrbart. Er findet den Zugang zum Menschen über den Körper, nicht über den Geist.
    Von Montaigne hört man deshalb auch keinen Lobpreis des Menschen als Krone der Schöpfung. In seinen Augen ist der Mensch vielmehr
     schwach, wankelmütig und leichtgläubig. Er ist kein Vernunftwesen, sondern ein Wesen voller Widersprüche, das auf schwankendem
     Boden steht. Gerade die Vernunft, die den Menschen angeblich aus dem Reich der Natur heraushebt, erscheint ihm als besonders
     unzuverlässig. Jeder scheinbar begründeten Meinung lässt sich eine Gegenmeinung, jedem angeblichen Beweis ein Gegenbeweis
     entgegenstellen.
    Montaigne steht hier in der Tradition der spätantiken Schule der Skeptiker, die von der Unmöglichkeit einer sicheren Erkenntnis
     über die Dinge überzeugt war. Auch die von Sokrates überlieferte Aussage »Ich weiß, dass ich nichts weiß« dient ihm als Bestätigung
     der Erkenntnis, dass sich die Widersprüche der Welt nicht durch Vernunft auflösen lassen. In diesem Punkt befinden sich Philosophie
     und Lebenserfahrung für Montaigne im Einklang: »Es ist meine eigne Erfahrung« |59| , so stellt er fest, »die mich die menschliche Unwissenheit so groß herausstellen lässt: Dies wird uns meiner Ansicht nach
     von der Schule der Welt als das Unbezweifelbare schlechthin gelehrt.«
    Dieses von Skepsis und Bescheidenheit geprägte Menschenbild führt auch zu einem veränderten Blick auf die menschliche Kultur
     und ihre Werte. Montaigne sieht die eigene Kultur nicht als Vorbild für andere an. Er ist einer der ersten Philosophen, die
     den Eurozentrismus, das heißt die These von der Überlegenheit der europäischen Kultur, in Frage stellen. In seinen Augen ist
     es lediglich mangelnde Vertrautheit, die uns dazu verleitet, andere Kulturen als »barbarisch« zu bezeichnen. Deshalb verfolgte
     Montaigne auch aufmerksam alle ihm zugänglichen Nachrichten, die Reisende von fremden Ländern und Kontinenten mitbrachten.
    So waren ihm auf einer seiner Reisen nach Paris brasilianische Indianer vorgeführt worden. Auf diese Informationen stützt
     er sich in seinem Essay »Über die Menschenfresser«. Die Kultur der so genannten »Wilden« ist nämlich geeignet, auch unsere
     eigene in einem neuen Licht zu betrachten. Was ist eigentlich humaner, fragt Montaigne provozierend, wenn ich meinen Gegner
     schnell und schmerzlos

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