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festen Platz in einer endlichen Welt und einer in Stufen geordneten, überschaubaren Natur, in der sich die
Vernunft Gottes widerspiegelte. In Folge der empirischen Naturforschung war diese Überschaubarkeit jedoch verloren gegangen.
Unendliche Offenheit von Raum und Zeit waren Teil des neuen mathematisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes. Für Pascal steht
der Mensch verloren in dieser Unendlichkeit: »Ich sehe diese furchtbaren Räume des Weltalls, die mich umschließen, und ich
finde mich an einen Winkel dieser unermesslichen Ausdehnung gebunden, ohne zu wissen, warum ich gerade an diesen Ort gestellt
bin und nicht an einen anderen, noch warum mir die kleine Zeitspanne, die mir zum Leben gegeben ist, gerade an diesem und
nicht an einem anderen Punkt der ganzen Ewigkeit zugeordnet ist ... Ich sehe auf allen Seiten nur Unendlichkeiten, die mich umschließen wie ein Atom . . .«
Auch Montaigne hatte den Menschen als ein Wesen begriffen, das seine Sicherheiten verloren hat und orientierungslos in der
Ordnung des Kosmos steht. Während ihm dies jedoch Anlass ist, für Gelassenheit zu plädieren und den Menschen aufzufordern,
die Lücke |86| zur Natur wieder zu schließen, betont Pascal bewusst die große Distanz, die den Menschen sowohl von der Natur als auch von
Gott trennt. Beide Abstände, zur Natur und zu Gott, sind für ihn unendlich groß.
In beiden Fällen ist es die Vernunft des Menschen, die diese Distanz markiert. Durch die Vernunft ragt der Mensch aus seiner
natürlichen Umwelt heraus. Er ist das einzige Wesen, das sich einer Stellung im Kosmos bewusst werden kann. Die Grenzen dieser
Vernunft trennen ihn aber auch von Gott. Für viele Theologen und Philosophen vor Pascal war der Mensch gerade durch seine
Vernunft mit dem Wesen Gottes verbunden. Pascal jedoch lehnt, wie bereits Augustinus vor ihm, diese Auffassung ab. Die Vernunft
kann niemals eine Brücke zwischen Mensch und Gott sein. Gott steht jenseits jeder Vernunft, weswegen jeder Versuch, ihn rational
»beweisen« zu wollen, zum Scheitern verurteilt ist.
Die Existenz des Menschen ist für Pascal ein Drama, in dem sich Großartigkeit und Nichtigkeit ständig begegnen. Und er ist
bemüht, dieses Drama in den grellsten Farben zu beschreiben. Es geht ihm darum, die verzweifelte, widersprüchliche, aber auch
einzigartige Stellung des Menschen im Kosmos deutlich zu machen. Irgendwo in der Mitte zwischen Nichts und Unendlichkeit steht
der Mensch, er ist zu großen Entdeckungen fähig, doch wo er eigentlich hingehört, weiß er nicht. Dies ist für Pascal ein Indiz,
dass der Mensch ein gefallenes Wesen ist, dass er die ursprüngliche Verbindung zu Gott gekappt hat. Er ist mit der Erbsünde
belastet. Er ist von seinen Ursprüngen nicht nur einfach entfernt oder entfremdet, sondern er befindet sich im »Elend«. Pascal
vergleicht die Situation des Menschen deshalb immer wieder mit der des alttestamentarischen Hiob, mit einem Zustand des Leidens.
Das hervorstechende Merkmal der menschlichen Situation ist die Unruhe, das rastlose Getriebensein von einem Ziel zum nächsten.
Der Mensch, so Pascal, ist das Wesen, das nicht allein in einem Zimmer verweilen kann. Sowohl Augustinus als auch Montaigne
hatten diese Unruhe schon hervorgehoben. Doch bei Pascal wird sie dramatisch ausgemalt. Sie ist bei ihm Ausdruck einer existenziellen
Verzweiflung, die nur von Gott aufgelöst werden kann. Der an Gott gerichtete |87| Satz des Augustinus, »Unruhig ist mein Herz, bis es ruht in Dir«, könnte wie ein Leitsatz über den
Gedanken
stehen.
Es ist nicht die Natur, sondern der Mensch, der einen »horror vacui«, eine Furcht vor dem Leeren, hat. Um diese Leere zu überdecken,
ist er ständig auf der Suche nach Zerstreuungen. Pascal entwirft das Bild des Menschen als eines rastlosen Spielers. Er wird
getrieben von der Vorstellung des Gewinns, doch kein Gewinn stellt ihn zufrieden. Hinter seinem ruhelosen Spieltrieb steht
in Wahrheit die Angst vor der Sinnlosigkeit. Sein Leben ist also nichts anderes als eine Fluchtbewegung. Für Montaigne und
die Tradition der Moralistik ist es der honnête homme, der Mann von Welt, der sich durch innere Autonomie diesem rastlosen
Treiben entziehen kann. Für Pascal ist diese Autonomie eine scheinbare und nichts anderes als eine unverzeihliche Gleichgültigkeit
gegenüber dem Drama der menschlichen Existenz. Sie ist bestimmt durch die Erfahrung der Krankheit, der Grenzen der
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