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Vakuum,
keine »Leerstellen« geben könne. Auch der Mensch blieb für ihn selbstverständlicher Bestandteil der kosmischen Gesetzmäßigkeit.
Pascal kommt zu anderen Schlussfolgerungen. In der Natur gibt es seiner Ansicht nach keinen »horror vacui«, keine »Furcht
vor dem Leeren«. Wie Descartes hält er die Natur, im Gegensatz zum Menschen, für geist- und seelenlos. Alles in ihr ist nach
rein mechanischen Gesetzen erfassbar. Anders ist es dagegen beim Menschen, der aufgrund seiner Vernunft und seiner unsterblichen
Seele weit über die Natur hinausragt.
Das Jahr 1651 markiert gleichzeitig eine erste große Zäsur in seinem Leben. Es ist das Jahr, in dem sein Vater stirbt und
seine Schwester Jacqueline beschließt, in das Kloster Port-Royal in der Nähe von Versailles einzutreten. Pascal steht engen
religiösen Bindungen zu diesem Zeitpunkt sehr skeptisch gegenüber. Im Gegenteil: Er will in der Welt reüssieren. So lehnt
er auch das Vorhaben seiner Schwester vehement ab, ihr Vermögen dem Kloster zu vermachen. Der Schwerpunkt seines Lebens verschiebt
sich von der Wissenschaft zur Gesellschaft.
|82| Pascal wird ein »honnête homme«, ein vielseits gebildeter adeliger Lebe- und Weltmann, der in den Pariser Salons verkehrt.
Man sieht ihn in Begleitung schöner Frauen, und er nimmt die Manieren eines Höflings an. Auch in seinen Studien setzt er einen
neuen Schwerpunkt. Die Lektüre der
Essais
Michel de Montaignes lenkt seine Aufmerksamkeit von der Natur auf den Menschen. In Montaignes Lebensklugheitslehre geht es
darum, dem Menschen zu helfen, seine Autonomie und Souveränität im Dschungel einer höfischen Gesellschaft zu behaupten, in
der die Gunst mehr wiegt als moralische Integrität oder Leistung. Montaigne zweifelt an der Erkenntnisfähigkeit der menschlichen
Vernunft, verzichtet aber völlig auf die Tröstungen und Heilsversprechen der Religion.
Nicht nur Montaignes weltlicher Skeptizismus, auch dessen antike Vorläufer fanden in dieser Lebensphase großen Widerhall im
Denken des jungen Lebemanns Pascal. Die antiken Skeptiker lehrten, dass die letzten Gründe der Welt unerkennbar seien und
dass man sich eines Urteils darüber enthalten müsse. Auch die Stoiker, die im 16. Jahrhundert überall im westlichen Europa eine Wiedergeburt erlebten, vertraten wie Montaigne eine ganz auf das Diesseits ausgerichtete
Lehre der Lebenskunst, die der Unruhe und Leidenschaft des Menschen durch eine kluge Selbstkontrolle begegnen wollte. So genoss
das
Handbüchlein der Moral
des Stoikers Epiktet, das wesentlichen Anteil daran hatte, dass die stoische Philosophie im Römischen Reich zur Lebensphilosophie
der Gebildeten wurde, auch in den Kreisen der französischen honnêtes hommes große Wertschätzung.
Pascals Abkehr von der weltlichen Lebensklugheitslehre – und damit das Ende dieser Lebensphase – war verbunden mit einer einschneidenden
persönlichen Krise. Im Jahr 1654, in der Nacht vom 23. auf den 24. November, kommt es zu Pascals berühmtem religiösen Bekehrungs- und Erweckungserlebnis. Solche Erlebnisse sind psychisch erschütternd
und lassen sich kaum beschreiben. Pascal hat versucht, einiges davon in einer Erinnerungsnotiz, einem »Mémorial«, festzuhalten,
das er in das Futter seines Mantels einnähte und in dem es unter anderem heißt: »Feuer. Gott Abrahams, Gott Isaaks, |83| Gott Jakobs, nicht der Gott der Philosophen und der Gelehrten ... nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, kann man ihn bewahren.« Pascal hatte seinen eigenen, persönlichen Gott gefunden.
Dies war kein rationaler, erklärbarer Gott, kein »Gott der Philosophen«, sondern ein dunkler und – wie der Gott des Alten
Testaments – für den Menschen oft unverständlicher Gott. Pascal nahm Abschied von der Überzeugung, Philosophie und Wissenschaft
könnten ihn zu den letzten Gründen der Wirklichkeit führen. Mit diesem Bekehrungserlebnis wurde der Glaube an die Kraft der
Rationalität durch eine religiöse Leidenschaft abgelöst. Aus dem honnête homme wird ein religiöser Asket.
Pascal gerät nun selbst in den Umkreis des Klosters Port-Royal. Ursprünglich ein reines Frauenkloster, wurde mit der Zeit
auch Männern erlaubt, sich als »Solitaires«, als »Einsiedler«, im Umkreis des Klosters niederzulassen. Port-Royal war das
Zentrum des französischen Jansenismus, einer Richtung innerhalb der katholischen Kirche, die theologisch dem Protestantismus
nahe stand. Die
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