Philosophenportal
Zeit zu einem intensiven Dialog zwischen dem jungen
Schopenhauer und dem Star der Weimarer Szene: Goethe. Gerade in jener Zeit war Goethe intensiv mit naturphilosophischen Fragen
beschäftigt. Drei Jahre zuvor, 1810, hatte er seine Farbenlehre veröffentlicht, |125| die er für revolutionär hielt. Wenn sich auch Schopenhauer in der Deutung der Farben nicht an Goethe anschloss, so teilte
er doch dessen Auffassung von der Einheit der Natur, eine Auffassung, die im 17. Jahrhundert bereits Baruch de Spinoza vertreten hatte. In den Diskussionen mit Goethe festigte sich bei Schopenhauer der Grundgedanke,
dass hinter der Vielfalt des Lebens eine einheitliche Kraft steht.
Eine zweite entscheidende Anregung kam von dem Herder-Schüler und Jenaer Privatgelehrten Friedrich Majer. Majer machte Schopenhauer
auf die altindische Philosophie der
Upanischaden
aufmerksam, die in Auszügen unterdem Titel
Oupnekhat
1801 in französischer Sprache erschienen waren. Die Entdeckung der indischen Welt war eine der kulturellen Leistungen der
Romantik, die sich in jenen Jahren auf ihrem Höhepunkt befand. Die
Upanischaden
bezeichneten die Welt des Werdens und Vergehens, die wir in Raum und Zeit erleben, als »Maja«. Sie ist gleichzeitig eine Welt
der Täuschung und des Leidens. Das eigentliche Grundprinzip der Welt ist »Brahma«, die Weltseele.
Schopenhauer fühlte sich sofort angesprochen und zog Parallelen zu seiner eigenen idealistischen Weltdeutung: Er identifizierte
»Maja« mit Kants Erscheinungswelt und seiner eigenen Welt der »Vorstellung«. Die These, dass die erlebte Welt Leiden ist,
traf sich mit seiner eigenen Welterfahrung. In »Brahma«, der alles durchdringenden Weltseele, sah er Kants »Ding an sich«.
Kant hatte sich bewusst geweigert, das »Ding an sich« näher zu charakterisieren, da es außerhalb unseres Erkenntnisvermögens
liege. Schopenhauer war jedoch entschlossen, genau diesem »Ding an sich« mit Hilfe der
Upanischaden
auf die Spur zu kommen.
Mit den Weimarer Diskussionen und Ideen im Gepäck brach er im Mai 1814 nach Dresden auf. Die vier Jahre, die er dort verbrachte,
sollten für ihn eine Zeit der schöpferischen Hochleistung werden, wie sie auch großen Philosophen nur in einigen begrenzten
Phasen ihres Lebens vergönnt ist. Fern der akademischen Welt, aber auch abseits des gesellschaftlichen Lebens widmete sich
Schopenhauer nun ganz der philosophischen Arbeit. Hier entstand
Die Welt als Wille und Vorstellung
.
|126| Auch in Dresden schöpft Schopenhauers Denken seine Anregungen aus der konkreten Beobachtung und Anschauung. Die sächsische
Residenzstadt mit ihrer Barockarchitektur und ihren Kunstschätzen war dafür ein idealer Ort. Er ging auf der Brühlschen Terrasse
spazieren und verbrachte viel Zeit im Botanischen Garten, wo sich ihm die Vielfalt der Natur wie in einer Nussschale bot.
Schopenhauer war noch ein junger Mann, gerade in seinen Endzwanzigern, aber er lebte schon das Leben eines älteren Herrn,
der sich vom Trubel der Welt zurückgezogen hat und seine Erfahrungen mit der Welt auswertet.
Zu den wenigen für ihn wichtigen Dresdner Kontakten gehörte die Bekanntschaft mit dem Philosophen Karl Christian Friedrich
Krause, dessen Philosophie später in Spanien und Lateinamerika unter dem Namen »Crausismo« bekannt werden sollte. Krause lebte
in unmittelbarer Nachbarschaft und war, mehr noch als Majer, mit der altindischen Geisteswelt vertraut. Er sprach Sanskrit
und kannte sich mit Meditationstechniken aus.
Hatte seine Doktorarbeit noch einen rein erkenntnistheoretischen Charakter, so erhielt Schopenhauers Denken durch die Bekanntschaft
mit der altindischen Philosophie eine zusätzliche moralische und religiöse Färbung. Für Schopenhauer schälte sich immer mehr
die Einsicht heraus, dass der Ausweg aus der Welt der Vorstellung und des Leidens die Abkehr vom Wollen ist, das den Menschen
rastlos umhertreibt. Im Wollen erblickte er auch die lang gesuchte Eingangstür zur Welt des »Dings an sich«: Nicht die Vernunft
führt uns demnach zur wahren Realität, sondern unser Körper.
Wir können unseren Körper nach Schopenhauer auf zwei ganz unterschiedliche Arten erfahren: einmal als Objekt, als Vorstellung,
indem wir sein Verhalten und seine Funktionen wie in der Medizin von außen betrachten und registrieren. Wir können ihn aber
auch unmittelbar über seine Triebregungen erfahren: In Hunger, Durst, im sexuellen Verlangen oder im Schmerz
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