Philosophenportal
überzeugt, dass einer politisch gut organisierten Arbeiterklasse
das System wie eine reife Frucht in die Hände fallen wird.
Mit dem Ende des Kapitalismus ist nach Marx auch die »Vorgeschichte« des Menschen zu Ende, die Zeit, in der er ausgebeutet
wurde und geknechtet war. Erst jetzt, wenn er sich die Produkte seiner Arbeit aneignen und über ihre Verwertung bestimmen
kann, fängt die »eigentliche« Geschichte des Menschen an, in der nicht nur jede soziale Ungerechtigkeit, sondern in der auch
jede Art der Entfremdung des Menschen vom Menschen beseitigt ist. Der Mensch, der Herr über seine eigene Arbeit geworden ist,
wird auch wieder Herr über sein Geschick, also über die Abläufe der Gesellschaft und Geschichte.
Nachdem der erste Band des
Kapitals
im Herbst des Jahres 1867 im Verlag Otto Meissner in Hamburg erschienen war, zeigte sich Marx zunächst sehr unzufrieden über
die Reaktion der Öffentlichkeit. Doch bald wurde seine Arbeit von vielen Seiten, so auch von ökonomischen Fachleuten, gewürdigt.
Dass
Das Kapital
schließlich in mehrere Sprachen übersetzt wurde, hing vor allem mit der Bedeutung zusammen, die das Buch für die sozialistische
und kommunistische Arbeiterbewegung erlangte.
In zahlreichen Popularisierungen wurde es zum Grundbuch der Marxisten in ihrem Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaft.
Friedrich Engels bezeichnete es sogar als »Bibel des Arbeiters«. Noch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts vertieften sich linke Studenten in Arbeitskreisen in die Lektüre des Werks, um ihren politischen Absichten eine
theoretische Grundlage zu geben.
Auch die marxistische Philosophie bezog sich immer wieder auf |163| dieses Buch. Lenin ergänzte und erweiterte die Ausführungen des
Kapitals
durch eine Revolutionstheorie, in der eine straff organisierte kommunistische Kaderpartei die führende Rolle spielen sollte,
und durch eine Erörterung der Formen, die der Kapitalismus im Zeitalter des Imperialismus, also des späten 19. und beginnenden
20. Jahrhunderts, annahm. Westliche Marxisten des 20. Jahrhunderts wie Georg Lukács oder die beiden Mitbegründer der Frankfurter Schule, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, wurden vor allem von der These beeinflusst, dass der Warencharakter im Kapitalismus alle gesellschaftlichen Beziehungen
beherrscht. Auch liberale politische Philosophen wie der Amerikaner John Rawls sind durch Marx dazu geführt worden, sich stärker
mit der Verteilung ökonomischer Güter und der Herstellung sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft auseinander zu setzen.
Wenn auch der von Marx prophezeite Zusammenbruch des Kapitalismus nicht eingetreten ist und wenn auch die sich auf ihn berufende
kommunistische Staatenwelt gescheitert ist, sitzen doch die Grundfragen des
Kapitals
weiterhin wie ein Stachel im Fleisch der westlichen Gesellschaften: Für wen und zu welchem Zweck setzen wir unsere Arbeitskraft
ein? Wer steckt hinter dem »Markt«, der bestimmt, was und wie viel produziert wird? Werde ich wirklich für meine Arbeit gerecht
bezahlt?
Doch diese ökonomischen Fragen führen bei Marx sehr viel tiefer. Auch wenn man von den komplizierten Analysen über Arbeitslohn,
Mehrwert und Profitrate zunächst abgeschreckt wird:
Das Kapital
ist wie eine auf den ersten Blick unansehnliche Muschel, in der eine wertvolle Perle steckt. Hinter den ökonomischen Analysen
verbirgt sich das philosophische Plädoyer für den wahren Wert und die Würde des Menschen, der ein Recht hat, seine Arbeit
in den Dienst seiner schöpferischen Kräfte zu stellen und sie nicht wie eine Ware auf dem Markt verschachern zu lassen.
Ausgabe:
KARL MARX: Das Kapital, Band 1-3. Berlin: Dietz 1953-1989.
|164| Die Bibel des Antichristen
FRIEDRICH NIETZSCHE: Also sprach Zarathustra (1883-1885)
Am Beginn aller großen Religionen stehen Propheten, Menschen, die sich für auserwählt halten, sich vom göttlichen Geist durchdrungen
und berufen fühlen, den Menschen die Wahrheit zu verkünden. Da diese Wahrheit sich häufig auf eine Offenbarung stützt und
der Vernunft und dem normalen Menschenverstand nicht immer zugänglich ist, greifen sie zum Hilfsmittel einer bildlichen Sprache.
Sie sagen es den Menschen gewissermaßen »durch die Blume«. Alle großen »heiligen« Bücher versuchen, ihre Lehre in Form von
Gleichnissen, Erzählungen und Sinnsprüchen zu vermitteln – so auch im westlichen Kulturkreis die Bibel, die
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