Philosophenportal
erfahrbare Welt zugunsten einer Welt der Ideale abwertet. Doch dieser »freie Geist«
war noch nicht Nietzsches letztes Wort. Als ausschließlich kritischer Geist, der die traditionelle Moral, Philosophie und
Religion angreift, war er ein Geist, der »stets verneint«. Nietzsche wollte dem auch etwas Positives an die Seite stellen,
eine neue Tugend und eine neue Weltsicht.
Ansätze dieser neuen, »positiven Weltanschauung« finden sich bereits in der
Morgenröte
und der
Fröhlichen Wissenschaft
. Nietzsche hat beide Bücher sogar als vorgezogenen »Kommentar« zum
Zarathustra
bezeichnet. So enthält das Ende des vierten Buches der
Fröhlichen Wissenschaft
beinahe wörtlich den Abschnitt, der später an den Beginn des
Zarathustra
rücken sollte. Auch in einem der Gedichte des Anhangs, »Sils-Maria«, wird die für den
Zarathustra
charakteristische Stimmung des »Mittags« beschworen in Erwartung einer Welt, die, »ganz Zeit ohne Ziel«, vollkommen in sich
selbst ruht:
|169| Hier saß ich, wartend, wartend,– doch auf Nichts,
Jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts
Genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.
Da plötzlich, Freundin! wurde eins zu Zwei –
– Und Zarathustra ging an mir vorbei ...
Die Figur des Zarathustra beginnt nun ins Zentrum des Nietzscheschen Denkens zu treten. Eine »Weltanschauung«, die das Leben
ohne moralische oder metaphysische »Hinterwelten« als zweckfreies Spiel begreift, war die Lehre, die sich von hier aus herausbildete
und die von Zarathustra verkündet werden sollte.
In Sils-Maria im Schweizer Oberengadin hatte Nietzsche 1881 eine Landschaft gefunden, die ihm körperlich wohl tat und ihn
gleichzeitig geistig inspirierte. Seine Krankheit, die ihm in immer neuen Schüben zugesetzt hatte, schien eine Pause zu machen.
Er erlebte nun eine Phase kreativer Hochstimmung. Dabei waren Spaziergänge in der Natur für Nietzsche immer eine der wichtigsten
schöpferischen Anregungen. Bei einem solchen Spaziergang zum Silvaplaner See hatte er sein philosophisches Erweckungserlebnis.
Vor einem Felsblock unweit Surlej wurde er im August 1881 von dem »Ewigen-Wiederkunfts-Gedanken getroffen«. Er selbst hat
dieses Erlebnis mit einer religiösen Offenbarung verglichen: Keine Denkanstrengung habe ihn dorthin geführt, sondern die Dinge
selbst hätten sich ihm als Gleichnis angeboten.
Im Winter 1882⁄83, bei einem Aufenthalt im italienischen Rapallo, nahm die Figur des Zarathustra konkrete Gestalt an. Dort
schrieb Nietzsche zu Beginn des Jahres 1883 innerhalb von zehn Tagen den ersten Teil des neuen Buches nieder. Auch die übrigen
Teile entstanden in kurzen Phasen einer schöpferischen Hochstimmung. Im Sommer 1883 vollendete Nietzsche den zweiten Teil
in Sils-Maria, im Januar 1884 den dritten in Nizza und im Winter 1884 / 85 schließlich, ebenfalls an der französischen Mittelmeerküste, den vierten und letzten Teil des Buches.
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Also Sprach Zarathustra
hat, wie sein biblisches Vorbild, eine lockere Struktur. Jeder Teil, sogar jedes Kapitel kann unabhängig von anderen Textteilen
gelesen werden, wobei allerdings im dritten Teil der Höhepunkt der »philosophischen Offenbarung« Nietzsches liegt. Das Werk
wird lose zusammengehalten durch die Figur des Zarathustra und seine Absicht, den Menschen seine neue Lehre zu verkünden.
Auf die Frage, warum er sich gerade den alten persischen Religionsstifter zum Sprachrohr gewählt habe, hat Nietzsche geantwortet,
dass Zarathustra der Erste gewesen sei, der die Welt in Gut und Böse eingeteilt und damit eine moralische Weltdeutung vertreten
habe. Nun solle gerade er dazu dienen, mit dieser moralischen Weltdeutung Schluss zu machen.
Um die Figur des Zarathustra rankt sich auch die Rahmenhandlung des Buches. Im ersten Teil geht der Prophet auf die Marktplätze
und die Städte und versucht, die große Mehrheit der Menschen für seine Sache zu gewinnen. Nachdem er den »Samen« seiner Botschaft
ausgestreut hat, zieht er sich wieder in die Einsamkeit zurück. Im zweiten Teil wendet er sich nur noch an seine Jünger. Doch
den Kerngedanken seiner Lehre, der ihm selbst erst allmählich zu vollem Bewusstsein kommt, offenbart er ihnen noch nicht.
Wiederum wählt er die Einsamkeit, um im dritten Teil seinen wichtigsten Gedanken, das letzte Geheimnis seiner Lehre, preiszugeben.
Hier spricht er als Einzelner, nur noch umgeben von seinen Tieren.
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