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Französischen
Revolution erhoben wurden. Seine Zeitgenossen, die vom Streben nach materiellen Gütern, nach sozialer Gleichheit, vom Streben
also nach dem Glück und dem bequemen Leben, geprägt sind, bezeichnet er verächtlich als die »letzten Menschen«. Mit ihnen
geht er in »Zarathustras Vorrede« ins Gericht. Die »letzten Menschen« haben jede Herausforderung und jede Verantwortung aus
ihrem Leben entfernt. Sie sind rundum versorgt und haben ihr »Lüstchen für den Tag« und ihr »Lüstchen für die Nacht«. Nietzsches
Spott auf die »letzten Menschen« klingt wie eine prophetische Kritik am modernen Wohlfahrtsstaat.
Der »letzte Mensch« trägt seinen Namen, weil er das letzte Stadium des alten Menschen ist, der Gipfel der Dekadenz. Er ist
für Nietzsche aber auch die Brücke zu einem neuen Menschentyp, dem »Übermenschen«. Als neues Menschheitsideal steht dieser
bei Nietzsche |173| in engem Zusammenhang mit der Lebenshaltung, die aus seiner dritten Verwandlung, der Verwandlung vom Löwen zum Kind, hervorgeht.
Im
Zarathustra
gibt sich Nietzsche nämlich nicht mit einer Kritik an den alten Werten zufrieden: Er will eine neue Werteordnung predigen,
eine »Umwertung aller Werte«. Sie realisiert sich in der Haltung des Kindes. Sie ist geprägt von Unschuld und zugleich von
einer Leichtigkeit, einem unangestrengten, spielerischen Umgang mit der Welt.
Durch das gesamte Werk hindurch benutzt Nietzsche Bilder des Fliegens, Tanzens und Spielens, um seine neue Lebenshaltung und
seine Abkehr vom »Geist der Schwere« zu charakterisieren. Auch Jesus von Nazareth hatte von seinen Anhängern gefordert: »Werdet
wie die Kinder!« Doch während die christliche Unschuld mit intellektueller Bescheidenheit und einem naiven Vertrauen in die
göttliche Lehre verbunden ist, bezieht sich Nietzsches kindliche Unschuld auf das Diesseits, auf die Welt. Der Mensch soll
der Welt wie ein Kind gegenübertreten, ohne die alten moralischen Bewertungen und ohne metaphysische Schablonen. Er soll sie
unbefangen in sich aufnehmen, er soll spielerisch und schöpferisch mit ihr umgehen – wie ein Kind, das mit allen Dingen, die
ihm in die Hände fallen, neue Spiele erfindet. Nietzsche spricht deshalb von der kindlichen Unschuld als einem »heiligen Ja-Sagen«.
Mit diesem Ja-Sagen hat sich der Mensch erst wirklich aus der Dekadenz gelöst und eine neue, entscheidende Entwicklungsstufe
erreicht. Diese ja-sagende Haltung ist auch die des Übermenschen. Das Bild des Kindes und das des Übermenschen müssen im
Zarathustra
vom Leser zusammengeführt werden. Der Übermensch ist für Nietzsche der »Sinn der Erde«. Er repräsentiert die höchste Stufe
der menschlichen Selbstverwirklichung. Der Mensch ist ein Versuch, ein Experiment – das erst im Übermenschen gelingt.
Im Übermenschen hat Nietzsche seine neuen Tugenden und seine Vorstellung von der »großen Gesundheit« gebündelt: Er ist klug,
stolz, mutig, unbekümmert, gewalttätig, schöpferisch und offen für Veränderungen. Auch Leiden und Vergänglichkeit sieht er
als Quellen der Lust. Schlüsselwörter dieser neuen Haltung sind der »Leib« |174| und die »Erde«. Wie Montaigne, den er sehr verehrte, wertet Nietzsche den Körper gegenüber dem Geist und gegenüber der Seele
auf. Statt einer Herrschaft der Vernunft oder einer Unsterblichkeit der Seele propagiert er die »Begeisterung des Leibs«.
Der Begriff des »Übermenschen« hat heftige Kritik herausgefordert, an der Nietzsche nicht unschuldig ist. Gerade seine aus
der Biologie entlehnte Sprache hat der Interpretation Vorschub geleistet, der Übermensch sei eine Art rassischer Züchtung
im Sinne des faschistischen Herrenmenschen. Immer wieder hat Nietzsche das Ideal des alle Moral über Bord werfenden, starken
Kriegers beschworen und den Übermenschen als den »Wahnsinn« bezeichnet, mit dem der alte Mensch »geimpft« werden müsse.
Mit seinem ganz an der »Erde« orientierten Übermenschen setzt Nietzsche sich nicht nur in Gegensatz zur christlich-religiösen
Tradition, sondern auch zur Tradition der griechischen, von Platon und Aristoteles bestimmten Metaphysik, die dem »Geist«
immer Vorrang vor der »Materie« gab. Nietzsche ist ein Gegner des Rationalismus. Das, was vorher böse und verdammt war, der
Körper, die Sinnlichkeit, die Triebe, die Selbstliebe – sie werden nun zu positiven Werten. Und das, was vorher als gut galt,
der Verzicht, die Askese, die
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