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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
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Kriegszeit Gestalt annahm. Nicht
     nur um das Verhältnis von Logik, Sprache und Welt konnte es also gehen, sondern auch um jene Fragen, die für sein eigenes
     Leben so wichtig waren. Von Juli bis September 1918 erhielt der inzwischen zum Leutnant beförderte Wittgenstein Urlaub, den
     er bei einem Onkel in Hallein nahe Salzburg verbrachte. Hier, in den letzten Monaten des Ersten Weltkriegs, wurde der
Tractatus
vollendet.
    Die Schrift verzichtet auf jedes rhetorische Beiwerk: Sie besteht aus Ober- und Unterthesen, deren Stellenwert in der Argumentation
     durch eine streng durchgeführte Nummerierung angezeigt wird. Die Unterthesen sind jeweils als Erläuterung der Oberthesen angelegt,
     auf die sie bezogen sind. Es ist ein ebenso trockener wie eindringlicher Text, der auch vor Formeltabellen nicht zurückschreckt.
     Wittgensteins berüchtigte apodiktische Haltung in seinem persönlichen Auftreten prägt auch den Stil des
Tractatus
. Jede These hat die Wucht eines Hammerschlags, der dem Leser eine unbezweifelbare Wahrheit einbläut. Russell bemerkte, jeder
     Satz wirke wie ein Erlass des Zaren. In seiner strengen Formensprache erinnert er an die Architektur der Wiener Moderne, wie
     sie vor allem durch Adolf Loos repräsentiert |184| wurde. Mit einem von dessen Schülern, Paul Engelmann, sollte Wittgenstein einige Jahre später für seine Schwester ein Haus
     entwerfen, das den Beinamen »Stein gewordener Tractatus« erhalten sollte.
    Die nach dem Vorbild einer mathematischen Abhandlung konstruierte Anordnung der Thesen erleichtert einen Überblick über die
     wichtigsten Aussagen des Buches. Die Hauptthesen ergeben, hintereinander gestellt, einen einprägsamen Argumentationszusammenhang.
     So lauten die ersten fünf Thesen: »1.   Die Welt ist alles, was der Fall ist. 2.   Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten. 3.   Das logische Bild der Tatsache ist der Gedanke. 4.   Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. 5.   Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion des Elementarsatzes.«
    Zunächst scheinen drei große Themen die Schrift zu beherrschen: Welt, Sprache und Logik. Während in Wittgensteins eigener
     philosophischer Entwicklung das Nachdenken über Logik am Anfang stand und schließlich zum Nachdenken über die Sprache und
     die Welt führte, ist der Argumentationsgang im
Tractatus
umgekehrt: Von der Welt führt Wittgensteins Argumentation zur Sprache, in der sie sich als »logisches Bild« spiegelt. Die
     Sprache wiederum wird als ein komplexer Zusammenhang von Sätzen gesehen, die sich auf »Elementarsätze« zurückführen lassen.
     Die mögliche Verbindung zwischen Elementarsätzen lässt sich mit Hilfe der Logik so beschreiben, dass man gleich erkennt, unter
     welchen Umständen sie wahr oder falsch sind. Komplexe Sätze sind »Wahrheitsfunktionen« von Elementarsätzen, das heißt, ihre
     Wahrheit und Falschheit hängt von der Wahrheit und Falschheit der Elementarsätze ab.
    Welt, so lautet ein Credo des Buches, ist uns nur durch den Filter der Sprache zugänglich. Die Sprache wiederum ist an eine
     logische Form gebunden. In der Nachfolge Freges und Russells will Wittgenstein die Logik dazu benutzen, Grenzen und Möglichkeiten
     der Sprache aufzuzeigen. Ursprünglich wollte er seinem Buch den Titel »Der Satz« geben, ein Hinweis darauf, dass für ihn die
     logische Form der sprachlichen Aussage in der Schrift eine Schlüsselrolle einnimmt.
    Mit der letzten Hauptthese des
Tractatus
, zugleich der letzte Satz |185| überhaupt, erhält dieser Argumentationsgang aber eine tiefere Dimension: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber soll man
     schweigen.« Hier spricht Wittgenstein jenen Bereich der großen ethischen und metaphysischen Sinnfragen an, die ihn von jeher
     beschäftigt hatten. Er nimmt zugleich Bezug auf eine Unterscheidung, die für das Verständnis seines Buches von großer Bedeutung
     ist: die Unterscheidung zwischen dem »Sagen« und dem »Zeigen«.
    Im Anschluss an Frege und Russell wollte Wittgenstein zunächst zwei Fragen klären: In welcher Beziehung steht die Sprache
     zur Welt? Und: Wie sieht eine logisch korrekte Sprache aus und was kann sie leisten? Sind diese Fragen beantwortet, so ist
     der Bereich des »Sagbaren« abgesteckt, der Bereich, in dem »sinnvolle« Aussagen möglich sind, Aussagen also, die wahr oder
     falsch sein können. Man kann auch den ganz überwiegenden Teil des
Tractatus
als Versuch ansehen, den sinnvollen Gebrauch der Sprache zu

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