Philosophenportal
das »Abendmahl« feiert: die so genannten »höheren Menschen«, darunter
der Wahrsager der großen Müdigkeit, ein alter Papst, der nach dem Tod Gottes arbeitslos ist, ein Zauberer, zwei Könige, aber
auch unter anderen der »Schatten Zarathustras«. Sie alle sind Menschen, die im alten Glauben verwurzelt waren und diesen nun
verloren haben. In ihrer Sehnsucht nach einer neuen Sinngebung stehen sie vor dem Nichts. Dass hierzu auch der »Schatten Zarathustras«
gehört, ist im Hinblick auf Nietzsches eigene Entwicklung aufschlussreich: Nietzsche ist mit dem
Zarathustra
aus dem Schatten des Nihilismus herausgetreten und hat mit diesem Buch einen Teil seiner eigenen philosophischen Vergangenheit
hinter sich gelassen.
Die verschiedenen Teile des
Zarathustra
wurden zunächst separat veröffentlicht: Teil eins und zwei erschienen 1883, der dritte Teil 1884 und der vierte 1885. Wie viele andere berühmte philosophische |177| Werke wurde auch der
Zarathustra
von den Zeitgenossen zunächst ignoriert. Doch Nietzsche war über die Bedeutung des Buches nie im Zweifel. In seiner 1908 posthum
erschienenen Schrift
Ecce homo
behauptet er sogar, mit dem
Zarathustra
Dante und Goethe dichterisch in den Schatten gestellt zu haben.
Tatsächlich wurde
Also sprach Zarathustra
im 20. Jahrhundert zu einem der einflussreichsten und meist gelesenen, aber auch zu einem der umstrittensten philosophischen Werke.
Nietzsches »wilde Weisheit«, wie er sie selbst nennt, hat bis heute als fruchtbare, aber auch als verhängnisvolle Provokation
gewirkt. Seine pathetische, mitunter schillernd mehrdeutige Sprache übt auf zahllose Leser des Buches eine ungebrochene, wenn
auch zwiespältige Faszination aus.
Begriffe wie der »Übermensch« oder der »Wille zur Macht« haben sich für rechtsradikale Ideologien geradezu angeboten. Entsprechend
hat der deutsche Faschismus Nietzsche als ideologischen Stammvater für sich reklamiert. Mit Sätzen wie »Der Mann soll zum
Krieger erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers«, oder »Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!«, die
beide im Kapitel »Von alten und jungen Weiblein« im ersten Teil des Buches stehen, gab Nietzsche weniger Anlass zu philosophischen
Diskussionen als zur Bestätigung von Ressentiments.
Weitaus fruchtbarer war Nietzsches Einfluss auf die Kunst und Philosophie, der im frühen 20. Jahrhundert einsetzte. Wie bei Schopenhauer gehörten zu seinen Lesern zahlreiche Künstler. So finden sich seine Spuren in
der Literatur und Malerei des Expressionismus und bereits 1896 machte Richard Strauss den
Zarathustra
zur Grundlage einer sinfonischen Dichtung. Als einer der Väter der Lebensphilosophie, die im »Leben« den schöpferischen, aber
auch irrationalen Grund der Welt sah, rückte der Außenseiter Nietzsche ins Zentrum der philosophischen Diskussion und beeinflusste
auf diesem Weg Autoren wie Oswald Spengler und Ludwig Klages.
Nietzsches These, dass der Mensch sich der Sinnfrage ohne Transzendenz und ohne Gott stellen muss, wurde zu einem der wichtigsten
Anliegen der modernen Existenzphilosophie und von Karl Jaspers, Martin Heidegger, Jean-Paul Sartre und Albert Camus aufgegriffen. |178| Besonders wirkungsvoll war Nietzsches Vernunftkritik, die in der Frankfurter Schule um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, aber auch von der Philosophie der Postmoderne weitergeführt wurde.
Also sprach Zarathustra
verdankt seine große Wirkung nicht zuletzt der Tatsache, dass das Buch einen Urimpuls der Philosophie erneuert: den Impuls,
sich von Traditionen, Autoritäten und Schulweisheiten zu lösen und sich wieder unbefangen auf das Abenteuer Welt einzulassen.
Ausgabe:
FRIEDRICH NIETZSCHE: Also sprach Zarathustra. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, Band 4. München: de Gruyter und dtv 1988.
|179| Logik im Dienst der Mystik
LUDWIG WITTGENSTEIN: Tractatus logico-philosophicus (1921)
Es gibt philosophische Werke, die gleich nach ihrem Erscheinen als völlig ungewöhnlich und revolutionär wahrgenommen werden
und die sehr schnell unter ihren Lesern Kultstatus erlangen. Dies gilt auch für Ludwig Wittgensteins
Tractatus logico-philosophicus
, ein schmaler Band, der seit seinem Erscheinen 1921 seine Leser fasziniert, aber ebenso in Verwirrung gestürzt hat.
Ein großer Teil der Leser dieses Buches glaubt, dass Wittgenstein hier der traditionellen Philosophie,
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