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Wesentlichen zur Sprachanalyse.
Insofern schließt sich Wittgenstein im
Tractatus
dem »logischen Atomismus« seines Lehrers Russells an: Sowohl die Welt als auch die Sprache lassen sich in kleinste Einzelbestandteile,
»Atome«, zerlegen. Die Sprache besteht aus einem Korpus von komplexen Sätzen, die sich auf einfachste Sätze, auf »Elementarsätze«,
reduzieren lassen. Ein konkretes Beispiel für einen Elementarsatz hat Wittgenstein nie angegeben. Er hat ihm lediglich die
Symbole »p« oder »q« zugeordnet und ihn als eine Verknüpfung von »Namen« bezeichnet. Der Name ist so etwas wie das einfachste
sprachliche Zeichen, dem auf der Ebene der Welt ein Gegenstand zugeordnet ist. Aufgabe der Philosophie als Sprachkritik ist
es nun, alle Sätze auf ihre Urbestandteile, die Elementarsätze, zu reduzieren und den darin vorkommenden Namen Gegenstände
zuzuordnen. Die Sprache wird dadurch also auf eine rein »beschreibende« Sprache reduziert.
Hat man auf diese Art analysiert, ob es sich um einen »sinnvollen« beschreibenden und möglicherweise sogar um einen wahren
Satz handelt, kann man nun auch die Wahrheitsfähigkeit beziehungsweise die Wahrheit komplexer Sätze feststellen. Sie sind
Wahrheitsfunktionen von Elementarsätzen, das heißt, ihre Wahrheit oder Falschheit hängt von der Wahrheit und Falschheit der
Elementarsätze |188| ab, aus denen sie bestehen. Wittgenstein erfand zu diesem Zweck die so genannten »Wahrheitstafeln«, in denen beschrieben wird,
unter welchen Bedingungen Verknüpfungen zwischen Elementarsätzen wahr oder falsch sind. Sie gehören heute zum Bestandteil
jedes Grundkurses in Logik.
Nehmen wir zum Beispiel die einfache Verknüpfung »p«
und
»q«. Es handelt sich also um eine mit »und« hergestellte Verbindung von Elementarsätzen, zum Beispiel: »Es regnet
und
die Autobahn ist gesperrt.« Diese Verknüpfung ist nur unter einer bestimmten Bedingung wahr: nämlich wenn »p« wahr ist (also
wenn es tatsächlich regnet) und zugleich »q« wahr ist (wenn es also auch stimmt, dass die Autobahn gesperrt ist). In allen
anderen drei möglichen Fällen ist sie falsch. Falsch ist der Satz also erstens, wenn es zwar tatsächlich regnet, die Autobahn
aber frei befahrbar ist; zweitens, wenn die Autobahn zwar gesperrt ist, es aber nicht regnet; und drittens, wenn jeder der
beiden Teilsätze etwas Unzutreffendes behauptet. Bei den Wahrheitswerten taucht hier also drei Mal »F« (für »falsch«) und
einmal »W« (für »wahr«) auf. Im
Tractatus
ist diese nur eine von mehreren »Wahrheitsfunktionen« und wird dort als Formel so zusammengefasst: (W F F F) (p,q).
Solche Formeln haben für viele Leser natürlich erst einmal eine abschreckende Wirkung. Aber Wittgenstein zieht aus seinen
logischen Kalkülen weit reichende philosophische Folgerungen. Mit den Gesetzen der Logik wird nicht nur der Bereich der sinnvollen
Aussagen vermessen, sondern auch das Feld der empirischen Wissenschaften. Mit der Behauptung: »Die Gesamtheit der wahren Sätze
ist die gesamte Naturwissenschaft«, identifiziert Wittgenstein die Welt mit der wissenschaftlich erfassbaren Welt. Sprache
außerhalb dieses Bereichs »sagt« dagegen nichts.
Wittgensteins Fazit des ersten Teils des
Tractatus
, der sich mit dem Verhältnis von Logik, Sprache und Welt beschäftigt, ist also zusammengefasst Folgendes: Was wir über die
Welt sinnvollerweise und wissenschaftlich aussagen können, muss in den Grenzen einer logisch normierten Sprache verbleiben.
Innerhalb der Welt, im Raum des »Sagbaren«, gibt es keine ungelösten Probleme. In diesem Sinne |189| sagt Wittgenstein: »
Das Rätsel
gibt es nicht. Wenn sich eine Frage überhaupt stellen lässt, so kann sie auch beantwortet werden.« Alles andere gehört nicht
zur Welt und kann deshalb nicht
gesagt
werden. Wenn die Philosophie dies dennoch tut, zum Beispiel wenn sie Theorien über »Gott«, das »Sein« oder das »Gute« aufstellt,
so macht sie sich eines Missbrauchs der Sprache schuldig. So ist auch der letzte, berühmte Satz des
Tractatus
konsequent: »Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.«
Mit diesem Schweigegebot steht Wittgenstein in enger Nachbarschaft zu einer Reihe österreichischer Kulturkritiker und Dichter
seiner Zeit, die – wie zum Beispiel Karl Kraus – die Sprache von unnötigem Schwulst und leerer Rhetorik befreien wollten.
Auch Hugo von Hofmannsthal hatte in seinem »Chandos-Brief« wie
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