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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Zimmer
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Wittgenstein auf die Erfahrung hingewiesen, dass der Mensch
     gegenüber manchen wesentlichen Fragen verstummen muss. Der
Tractatus
legt der Philosophie ein spartanisch strenges und asketisches Gewand an: Er verlangt von ihr, Rechenschaft über jeden verwendeten
     Satz und jeden verwendeten Begriff zu geben. Mit ihm beginnt die Sprachkritik zu einem der wichtigsten Themen der Philosophie
     des 20.   Jahrhunderts zu werden.
    Dass mit dem von Wittgenstein verordneten Schweigen jedoch keine grundsätzliche Ablehnung metaphysischer Ideen verbunden ist,
     wird auf den letzten Seiten des
Tractatus
deutlich. Mit der Klärung dessen, was sagbar ist, werden zwar Wissenschaft und Philosophie in die Schranken verwiesen. Sie
     erhalten aber einen untergeordneten Rang, weil in ihnen »unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind«. Diese Lebensprobleme,
     wie das Problem des Todes, der Sinn des Lebens oder der Sinn der Welt, liegen jenseits von Wissenschaft und Philosophie. Sie
     sind aber dennoch für den Menschen fundamental, ja, sie sind für ihn das eigentlich Wichtige. Wittgenstein hat seine Thesen
     zur Welt, Sprache und Logik mit einer Leiter verglichen, die man erst hinaufsteigen müsse, um sie dann hinter sich umzuwerfen.
     Die Leiter führt uns an die Schwelle der Lebensprobleme und Sinnfragen.
    Das, was jenseits dieser Schwelle liegt, kann nicht mehr gesagt, sondern nur noch gezeigt werden. Auf den letzten Seiten des
Tractatus
|190| erhält das Zeigen die Funktion, über das Rationale hinaus auf das Mystische zu verweisen. »Es gibt allerdings Unaussprechliches«,
     schreibt Wittgenstein, »dies
zeigt
sich, es ist das Mystische.« Wie Kierkegaard den Sprung ins Religiöse, so fordert Wittgenstein nun einen Sprung ins Mystische.
     Die Logik steht damit für ihn tatsächlich im Dienst der Mystik: Wie in Dantes
Göttlicher Komödie
Vergil als Repräsentant der menschlichen Vernunft den Menschen nur bis zum Rand des Paradieses begleitet und dort seine Führung
     abgeben muss, so kann die Logik im
Tractatus
den Menschen nur bis zum Rand des Sagbaren bringen.
    Dass es die eigentliche Absicht des Buches war, den Leser bis zur Schwelle dieser zweiten, »mystischen« Etage zu führen, hat
     Wittgenstein in einem Brief erläutert: »Der Sinn des Buches ist ein ethischer. Ich wollte einmal in das Vorwort einen Satz
     geben, der nun tatsächlich nicht darin steht, den ich Ihnen aber jetzt schreibe, weil er Ihnen vielleicht ein Schlüssel sein
     wird: Ich wollte nämlich schreiben, mein Werk bestehe aus zwei Teilen: aus dem, der hier vorliegt, und aus alledem, was ich
nicht
geschrieben habe. Und gerade dieser zweite Teil ist der wichtige. Es wird nämlich das
Ethische
durch mein Buch gleichsam von innen her begrenzt.«
    Das »Ethische« – ein Begriff, mit dem Wittgenstein hier die Gesamtheit der »Lebensprobleme« bezeichnet – fängt also erst an
     der Außengrenze dessen an, was Wittgenstein »Welt« genannt hat. Entsprechend formuliert er die These: »Der Sinn der Welt muss
     außerhalb ihrer liegen.« Der »Sinn der Welt« gehört nicht mehr zu den Dingen, über die wir »sinnvoll«, das heißt mit den Mitteln
     einer beschreibenden Sprache, reden können. Ebenso liegt die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit »außerhalb von
     Raum und Zeit«. So ist auch der Satz zu verstehen, dass der Tod »kein Ereignis des Lebens« ist. Der Tod ist ein Phänomen der
     Grenzüberschreitung. Er kann mit den Mitteln, mit denen wir die Welt oder das Leben begreifen, nicht erfasst werden.
    Was für das »Ethische« gilt, gilt auch für das »Ästhetische«, den Bereich der Kunst. Wittgenstein spricht deshalb davon, dass
     das Ethische und das Ästhetische »transzendental« seien.
    |191| Solche Aussagen sind nach Wittgenstein – streng genommen – selbst wieder sinnlos, weil sie nicht beschreibend sind. Sie sind
     lediglich Hilfsmittel, eine Art Zeigestock, mit dem auf das »Unsagbare« verwiesen wird. Dieses Unsagbare, also alles, was
     sich in Kunst, moralischem Handeln und Religion
zeigt,
ist für Wittgenstein das eigentliche, verdeckte Thema des Buches, das erst auf den letzten Seiten offen zutage tritt. Was
     wie ein Lehrbuch zur Logik beginnt, endet daher wie ein religiöses Meditationsbrevier.
    Erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs konnte Wittgenstein an eine Veröffentlichung der Schrift denken. Nun trat er wieder
     mit Russell in Kontakt, schickte ihm das Manuskript und versuchte einen Verleger zu finden. Er

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