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und insbesondere der
Metaphysik, endgültig den Garaus gemacht hat. Wittgenstein habe hier überzeugend und endgültig nachgewiesen, dass Sätze, die
sich nicht in einer logisch eindeutigen Form auf die Wirklichkeit beziehen, sinnlos sind. Gott, Freiheit, Unsterblichkeit,
Moral, Kunst und vieles andere seien damit als Themen der Philosophie erledigt. Wittgenstein habe die Grundlagen dafür gelegt,
dass die Philosophie sich nicht mehr außerhalb wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse bewegen könne.
Wer mit diesen Augen die letzten Seiten des Buches liest, muss allerdings etwas irritiert sein. Wittgenstein beginnt hier
nämlich Aussagen über Ethik, Tod und Gott zu treffen, zum Beispiel: »Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt
man nicht« – eine Behauptung, die schon der griechische Philosoph Epikur gemacht hatte. Dass solche Sätze am Ende und damit
an einer exponierten Stelle des Buches stehen, hat bei einem anderen Teil der Wittgenstein-Leser immer den Verdacht genährt,
dass der Autor nach all den Thesen über Logik und Sprache nun endlich zu den für ihn wichtigen Themen kommt.
|180| In der Tat: Betrachtet man die Thesenfolge des ganzen Buches und bezieht dabei seine Entstehungsgeschichte und die komplexe
Persönlichkeit des Autors Ludwig Wittgenstein mit ein, so drängt sich die Einsicht auf, dass hier die Logik in den Dienst
einer ganz anderen Art von Erkenntnis gestellt wird, die zwar für die rational argumentierende Philosophie unerreichbar bleibt,
die aber die wesentlichen Dinge der menschlichen Existenz berührt. Und dies sind genau jene Themen, mit denen viele Wittgenstein-Anhänger
ihren Meister überhaupt nicht in Verbindung bringen wollen: Gott, Tod, Sinn des Lebens und die uralte metaphysische Frage,
warum etwas ist und nicht
nichts ist
.
Bis heute ist umstritten, welche Absichten der Autor mit seinem Buch eigentlich verfolgt hat: Ist der
Tractatus
ein Grundlagenwerk der modernen Logik oder eine unter dem Deckmantel der Logik versteckte Hinführung zur Mystik? Das Rätsel
des
Tractatus
scheint genau in dieser eigenartigen Verknüpfung von Logik und Mystik zu liegen, zwei Bereichen der Erkenntnis, die sich normalerweise
ausschließen.
Diese Doppelschichtigkeit des Buches reflektiert die vielschichtige und widersprüchliche Persönlichkeit seines Autors. Ludwig
Wittgenstein, 1889 geboren, wuchs in einer der reichsten Familien Wiens auf. Sein Vater, Karl Wittgenstein, hatte sich zu
einem der erfolgreichsten Industriellen der Donaumonarchie emporgearbeitet. Die Talente des jungen Ludwig waren vielfältig,
seine Möglichkeiten schienen unbegrenzt. So hatte er eine ausgeprägte Fähigkeit, mathematische und technische Zusammenhänge
zu erkennen. Auf Betreiben seines Vaters studierte er zunächst Maschinenbau in Berlin und Manchester mit dem Ziel, später
einmal das väterliche Unternehmen zu führen.
Doch mindestens ebenso stark waren seine musischen und philosophischen Interessen. Von Jugend an faszinierten ihn grundlegende
philosophische Fragen, Fragen nach dem Sinn des Lebens und dem Sinn der Welt. Ethik, Religion und Kunst waren tägliche Diskussionsthemen
in einer Familie, in der es von musikalischen Genies wimmelte und in deren Haus zahlreiche Künstler ein- und ausgingen.
Der junge Wittgenstein war ein Sinnsucher: Er las Schopenhauer und Kierkegaard und war besonders von der exzentrischen These |181| beeindruckt, die der dreiundzwanzigjährige Otto Weininger in seinem 1903 erschienenen Buch
Geschlecht und Charakter
aufgestellt hatte: Dass dem Menschen nämlich nur die Wahl bleibe, Versager zu sein oder Genie. Wie Weininger, der sich kurz
nach Erscheinen seines Buches eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte, kannte Wittgenstein keine Kompromisse oder halben Sachen.
Genie oder Versagen, Erlösung oder Verdammung: Diese Alternativen standen ihm sein ganzes Leben lang vor Augen. Mehrere seiner
Familienmitglieder hatten Selbstmord begangen und auch Wittgenstein selbst wurde immer wieder von Suizidgedanken geplagt.
Auf der quälenden Suche nach seinem eigenen Genie beschäftigte sich der Ingenieurstudent Ludwig Wittgenstein mit den Grundlagen
der Mathematik und entdeckte auf diesem Weg die Logik. Durch die Schriften des Jenaer Mathematikprofessors Gottlob Frege und
des in Cambridge lehrenden Philosophen Bertrand Russell wurde er mit den Bemühungen vertraut, die Mathematik auf eine rein
logische Grundlage zu stellen und
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