Philosophenportal
fern von der
Hektik des modernen Lebens, seine philosophische Inspiration suchte. Auch
Sein und Zeit
entstand hier, mit dem Blick auf einen Brunnen und die Almwiesen. Heidegger wurde nie ein »Mann von Welt«. Nur im alemannisch
geprägten Südwesten Deutschlands fühlte er sich wirklich heimisch.
|196| In Heideggers Kindheitswelt war der Einfluss der katholischen Kirche auf Leben und Erziehung allgegenwärtig. 1889 in Meßkirch,
einer Kleinstadt am Südrand des Schwarzwaldes geboren, wurde Heidegger besonders durch die im Elternhaus vermittelte Religiosität
geprägt. Es war auch die katholische Kirche, die seinen Erziehungsweg nicht nur bestimmte, sondern auch finanzierte. Mit einem
kirchlichen Stipendium versehen ging er zunächst auf ein katholisches Internat in Konstanz. 1906 wechselte er auf das erzbischöfliche
Konvikt in Freiburg. Das dortige Wohnrecht war mit der Verpflichtung verbunden, in Freiburg ein Theologiestudium anzuschließen
und die Priesterlaufbahn einzuschlagen.
Dieses Studium nimmt Heidegger 1909 zwar auf, bricht es allerdings zwei Jahre später wieder ab. Er beginnt, sich innerlich
von der katholischen Lehre zu distanzieren. Da er jedoch auf das Geld der Kirche angewiesen ist, schließt er einen Kompromiss
und ist damit einverstanden, sein Studium mit dem Schwerpunkt »katholische Philosophie« fortzusetzen.
Heidegger konzentriert sich deshalb auf die christliche Philosophie des Hochmittelalters und habilitiert sich 1915 mit einer
Arbeit über den mittelalterlichen Philosophen Duns Scotus. Erst 1919 sagt er sich offiziell von der Kirche los. Doch die Auseinandersetzung
mit dem Glauben und mit theologischen Inhalten hat bleibende Spuren in seinem Denken hinterlassen. Begriffe der christlichen
Morallehre wie »Gewissen« und »Schuld« tauchen in seiner späteren Philosophie ebenso auf wie die ursprünglich religiös motivierte
Aufforderung zur Abkehr von der Welt und zur Hinwendung zu einer tieferen Schicht der Wirklichkeit.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass seine eigene Philosophie mit einer Art Bekehrungserlebnis beginnt: Heidegger lernt
das Werk Edmund Husserls, des Begründers der Phänomenologie, kennen. Husserl wollte die Philosophie wieder zu ihren Ursprüngen
zurückführen und vom Ballast der akademischen Theorien befreien. Entsprechend lautete sein philosophischer Wahlspruch: »Zu
den Sachen!« Zu den »Sachen«, den Phänomenen also, die unsere alltägliche Welterfahrung ausmachen, gelangen wir aber nur,
wenn wir der Tätigkeit |197| unseres Bewusstseins auf den Grund gehen. Husserl wollte mit dem Vorurteil aufräumen, dass das Bewusstsein eine Art Aufnahmeorgan
ist, das sich nach und nach mit Inhalten füllt. Es gibt kein reines Subjekt und kein reines Objekt: Das Bewusstsein ist vielmehr
von Anfang an mit den Gegenständen wie mit einer Klammer verbunden. Es ist, wie Husserl meint, immer schon auf Objekte »gerichtet«,
es knüpft die wahrnehmbare Welt als ein Netz zwischen uns und den Dingen.
Husserl verwandte große Mühe darauf, eine phänomenologische Untersuchungsmethode und eine phänomenologische »Einstellung«
zu entwickeln, in der die Tätigkeit und die »Gerichtetheit« des Bewusstseins in möglichst reiner Form sichtbar wird. Husserl
wollte alle »Vorannahmen« und »Vorurteile« ausschalten, bis der Blick auf die reine Bewusstseinstätigkeit frei wurde, bis
die Phänomene »sich zeigten«.
Schon der Student Martin Heidegger leiht sich Husserls frühes Hauptwerk, die
Logischen Untersuchungen
, zwei Jahre lang ununterbrochen aus der Freiburger Universitätsbibliothek aus. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Husserl bereits
von Göttingen auf einen Lehrstuhl in Freiburg gewechselt war, wird Heidegger schließlich sein Assistent. Die Phänomenologie
wird seine neue philosophische Heimat. Der endgültige Abschied von einer christlichen Philosophie war vollzogen.
Doch der junge Universitätsdozent geht in seiner Lektüre und in seinem Denken schon früh eigene Wege. Er liest Werke von Vertretern
der so genannten »Lebensphilosophie« wie Friedrich Nietzsche, Wilhelm Dilthey oder Henri Bergson, die die Aufmerksamkeit vom
Bewusstsein und der reinen Verstandeserkenntnis weg auf Formen des gefühlsmäßigen und intuitiven »Verstehens« lenkten. Dilthey
machte darauf aufmerksam, dass der Mensch nicht wie ein normales Objekt der Naturwissenschaften »erklärt« werden könne, sondern
aus seinem Erleben und aus
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