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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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unbegrenzte Freiheit läßt, Briefe zu schreiben und zu empfangen, verschaffst du dir das Mittel, augenblicklich zu erfahren, sobald sie mit ihrem Liebhaber sich zu schreiben beginnt.
    Aber angenommen, deine Frau hat Argwohn gegen dich, sie bedeckt mit den undurchdringlichsten Schatten alle von ihr aufgebotenen Mittel, um dir ihre Korrespondenz zu verbergen – nun, ist es hier nicht angebracht, jene geistige Macht in Tätigkeit treten zu lassen, aus der wir in der Betrachtung über die Ehezollrevision eine Waffe für dich gemacht haben? Der Mann, der es nicht sieht, wenn seine Frau an ihren Liebhaber geschrieben oder von ihm eine Antwort erhalten hat – dieser Mann ist ein mangelhafter Ehegatte.
    Das tiefe Studium, das du auf die Bewegung, Handlungen, Gebärden und Blicke deiner Frau verwenden mußt, wird vielleicht peinlich und ermüdend sein. Aber es wird nicht lange dauern, denn es handelt sich nur darum, zu entdecken, wann und auf welche Weise deine Frau und ihr Liebhaber miteinander korrespondieren.
    Wir können nicht glauben, daß ein Mann – wäre er auch nur von mittelmäßiger Intelligenz – dieses weibliche Manöver nicht zu erraten vermöchte, wenn er den Argwohn hat, daß es stattfindet.
    Und nun urteile der Leser nach einem einzigen Abenteuer, wie viele polizeiliche Maßregeln und Unterdrückungsmittel ihm in der Korrespondenz zur Verfügung stehen: Ein junger Advokat, dem eine rasende Leidenschaft einige von den Grundsätzen enthüllt hatte, die in diesem wichtigen Teile unseres Werkes behandelt sind, hatte ein junges Mädchen geheiratet, von dem er ein kleines bißchen geliebt wurde (was er als ein sehr großes Glück ansah). Nachdem er ein Jahr verheiratet gewesen war, bemerkte er, daß seine teure Anna – so hieß sie – den ersten Buchhalter eines Börsenagenten liebte.
    Adolphe war ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, mit hübschem Gesicht und lebenslustig wie nur irgendein Junggeselle. Er war sparsam, sauber, hatte ein ausgezeichnetes Herz, war ein guter Reiter, wußte geistreich zu sprechen, trug seine sehr schönen schwarzen Haare stets sorgfältig frisiert, und sein Anzug ermangelte nicht der Eleganz. Kurz, eine Herzogin hätte Ehre mit ihm einlegen und Freude an ihm haben können. Der Advokat war häßlich, klein, gedrungen, vierschrötig, ein Schlaukopf und ein Ehemann. Anna, schön und groß, hatte mandelförmig geschnittene Augen, eine weiße Haut und zarte Gesichtszüge, ihr ganzes Wesen atmete Liebe, und die Leidenschaft belebte ihren Blick mit einem zaubrischen Ausdruck. Sie stammte aus einer armen Familie, Maître Lebrun hatte zwölftausend Livres Rente. Dies sagt alles. Eines Abends kommt Lebrun in einer augenscheinlich sehr niedergeschlagenen Stimmung nach Hause. Er geht in sein Kabinett, um dort zu arbeiten, kommt aber bald zähneklappernd zu seiner Frau zurück, denn er hat Fieber; und es dauert nicht lange, so legt er sich zu Bett. Er stöhnt, bedauert seine Klienten und besonders eine arme Witwe, deren Vermögen er durch die Ausfertigung einer Urkunde retten sollte, und zwar schon am nächsten Tage. Die Zusammenkunft war bereits mit den beteiligten Geschäftsleuten verabredet, und nun fühlt er sich außerstande, hinzugehen. Nachdem er eine Viertelstunde geschlummert hat, wacht er auf und bittet mit schwacher Stimme seine Frau, an einen seiner intimen Freunde zu schreiben, er möchte ihn bei der für den nächsten Tag verabredeten Besprechung vertreten. Er diktiert einen langen Brief und paßt genau auf, welchen Raum die Sätze auf dem Papier einnehmen. Am Ende der zweiten Seite war der Advokat gerade dabei, seinem Kollegen die Freude auszumalen, womit seine Klientin die Unterzeichnung des Vertrags begrüßen würde, und das neue Blatt begann mit den folgenden Worten:
»Mein guter Freund, gehen Sie, ach! gehen Sie sofort zu Madame de Vernon; Sie werden dort recht ungeduldig erwartet werden. Sie wohnt Rue du Sentier Nr. 7. Verzeihen Sie mir, daß ich so wenig darüber sage; aber ich rechne auf Ihren wundervollen Verstand: Sie werden erraten, was ich nicht auseinandersetzen kann.
Ihr von Herzen!«
    »Gib mir den Brief,« sagte der Advokat; »ich will ihn vor der Unterzeichnung durchsehen, ob kein Fehler darin ist.«
    Die Unglückselige, deren Vorsicht dadurch eingeschläfert war, daß dieser Brief fast ganz und gar mit den barbarischsten juristischen Ausdrücken gespickt war, gibt den Brief hin. Kaum besitzt Lebrun das heimtückische Schriftstück, so fängt

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