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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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nach Westen. Die Sonne ging hinter dem fernen, blaugrauen Kamm der Allegheny Mountains unter, und das Licht in der Landschaft davor – weites, regelmäßig angeordnetes Ackerland, mit Baumgruppen und Farmhäusern – hatte gerade den Moment erreicht, in dem alle Farbe aus ihm weicht. Aber es war der Anblick einer Stadt, die ungefähr zehn, elf Kilometer Richtung Norden lag, der unsre Herzen höher schlagen ließ; eine richtige Stadt, die erste seit einer Woche. Von unserem Standort aus erkannten wir gerade noch die großen, hell erleuchteten bunten Schilder von Restaurants und Motels an einer Straße. Ich glaube, ich habe nie etwas annähernd so Schönes, annähernd so Verlockendes gesehen. Ich hätte schwören können, daß man den Duft von gebratenen Steaks roch, den uns die Abendbrise heraufwehte. Wir standen unendlich lange da und schauten auf die Stadt, als hätte man immer nur über sie gelesen, aber nie damit gerechnet, sie einmal tatsächlich zu sehen.
    »Waynesboro«, sagte ich schließlich zu Katz.
    Er nickte feierlich. »Wie weit?«
    Ich holte meine Karte hervor und sah nach. »Ungefähr 13 Kilometer.«
    Er nickte wieder feierlich. »Gut«, sagte er. Das war, wie mir klar wurde, die längste Unterhaltung, die wir seit zwei, drei Tagen geführt hatten, und mehr brauchte auch nicht gesagt werden. Wir waren seit einer Woche unterwegs und würden morgen runter in die Stadt gehen. Das mußte nicht ausgesprochen werden. Wir würden 13 Kilometer wandern, uns ein Zimmer mieten, duschen, nach Hause telefonieren, unsere Wäsche waschen, zu Abend essen, Lebensmittel einkaufen, fernsehen, in einem Bett schlafen, frühstücken und dann auf den Trail zurückkehren. Das verstand sich von selbst. Alles, was wir machten, verstand sich von selbst. Eigentlich herrlich.
    Wir schlugen unsere Zelte auf und kochten mit unserem letzten Wasser Nudeln, setzten uns dann nebeneinander auf einen Baumstamm und aßen schweigend, Waynesboro im Blick. Der Vollmond ging an einem blassen Abendhimmel auf und schien in einem hellen weißen Licht, das einen an die Cremeschicht von Oreo-Plätzchen erinnerte. (Irgendwann erinnert einen unterwegs alles nur noch ans Essen.) Nach langem Schweigen wandte ich mich abrupt an Katz und fragte ihn in einem Tonfall, der eher hoffnungsvoll als anklagend klingen sollte: »Kannst du überhaupt irgendwas anderes kochen als Nudeln?« Ich stellte gerade in Gedanken den Einkaufszettel für morgen zusammen.
    Er mußte eine Zeitlang überlegen. »Arme Ritter«, sagte er schließlich und verfiel wieder in Schweigen, drehte dann seinen Kopf zu mir und fragte: »Und du?«
    »Nein«, gestand ich. »Nichts.«
    Katz dachte darüber nach, welche Folgen das möglicherweise hatte, sah einen Moment lang so aus, als ob er etwas dazu sagen wollte, schüttelte dann aber nur gleichmütig den Kopf und widmete sich wieder dem Essen.
     

11. Kapitel
     
    Ein Gedanke am Rande: Alle 20 Minuten waren Katz und ich auf dem Appalachian Trail eine längere Strecke zu Fuß gegangen als der durchschnittliche Amerikaner pro Woche. 93 Prozent aller Wege außerhalb der eigenen vier Wände, wie weit und für welchen Zweck auch immer, werden in Amerika heute mit dem Auto zurückgelegt. Insgesamt geht jeder Amerikaner im Schnitt 2,25 Kilometer pro Woche zu Fuß – damit sind alle möglichen Gänge gemeint: vom Auto zum Büro, vom Büro zum Auto, und auch die Wege in Supermärkten und Einkaufszentren – das macht 320 Meter pro Tag. Das ist einfach grotesk.
    Als meine Familie und ich in die Vereinigten Staaten umzogen, wollten wir unbedingt in einer typischen Kleinstadt wohnen, in irgendeinem gemütlichen Nest, wo Jimmy Stewart Bürgermeister war, die Hardy Boys einem den Einkauf nach Hause brachten und Deanna Durbin immer und ewig ein Liedchen pfeifend am offenen Fenster stand. Solche idyllischen kleinen Städte sind gar nicht so leicht zu finden, aber Hanover, wo wir uns niederließen, kommt dem schon sehr nahe. Es handelt sich um ein nettes Collegestädtchen, typisch für New England, angenehm, ruhig und überschaubar, mit vielen alten Bäumen und spitzen Kirchtürmen. Es hat einen großen Stadtpark, eine altmodische Main Street, einen hübschen Campus mit einer gediegenen und ehrwürdigen Ausstrahlung, und von Laubbäumen gesäumte Straßen. Für jeden Einwohner sind die Post, die Stadtbücherei und die Geschäfte bequem zu Fuß zu erreichen.
    Die Sache ist nur die: Kaum einer geht irgendwohin zu Fuß. Ich kenne einen Mann, der die 500

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