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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Meter zu seinem Arbeitsplatz mit dem Auto fährt. Und eine Frau, die in ihren Wagen steigt, 400 Meter bis zur Sporthalle fährt, um dort auf einem Laufband zu trainieren, und sich bitter darüber beklagt, daß sie keinen Parkplatz findet. Als ich sie einmal fragte, warum sie nicht zu Fuß zur Sporthalle gehen und statt dessen fünf Minuten weniger auf dem Laufband trainieren würde, sah sie mich entgeistert an, als wollte ich sie provozieren. »Weil ich mein Trainingsprogramm auf dem Laufband absolvieren muß«, erklärte sie mir. »Es speichert die zurückgelegte Distanz und das Schrittempo, und ich kann den Schwierigkeitsgrad einstellen.« Ich hatte nicht bedacht, daß die Natur in dieser Hinsicht absolut unzulänglich ist.
    In Hanover jedenfalls könnte sie noch zu Fuß gehen, wenn sie wollte. In vielen anderen amerikanischen Städten ist es heute dagegen schon unmöglich, sich als Fußgänger fortzubewegen, selbst wenn man wollte. Das wurde mir am nächsten Tag in Waynesboro wieder überdeutlich bewußt, nachdem wir uns ein Zimmer gemietet und uns ein extravagantes spätes Frühstück gegönnt hatten. Ich ließ Katz in einem Waschsalon zurück – aus einem mir schleierhaften Grund machte er gern große Wäsche, las dabei die zerrissenen Zeitschriften und genoß das Erlebnis der wundervollen Verwandlung unserer vor Schmutz starrenden Kleider in flauschige und duftende, aus großen Maschinen hervorquellende Wäschestücke – und machte mich auf den Weg, um Insektenspray für uns zu kaufen.
    Waynesboro besaß früher einmal eines der üblichen, einigermaßen hübschen Geschäftsviertel aus insgesamt vielleicht fünf bis sechs Häuserblocks, aber wie so häufig heutzutage waren auch hier die meisten Einzelhandelsunternehmen in ein Einkaufszentrum an den Stadtrand umgezogen, und was einmal eine pulsierende Innenstadt gewesen war, wird heute von ein paar Banken, Versicherungen, Billiganbietern und Secondhandläden beherrscht. In vielen Läden brannte kein Licht, oder sie standen leer; ich konnte nirgendwo ein Geschäft finden, das Insektenspray verkaufte. Ein Mann vor der Post schlug vor, ich sollte es mal bei Kmart versuchen.
    »Wo steht Ihr Wagen?« fragte er als erstes, bevor er mir den Weg erklären wollte.
    »Ich habe keinen Wagen.«
    Das machte ihn erstmal stutzig. »Wirklich? Es ist aber über einen Kilometer weit.«
    »Das macht nichts.«
    Er schüttelte leise zweifelnd den Kopf, als wollte er jede Verantwortung für das, was er mir gleich sagen würde, ablehnen. »Sie gehen hier die Broad Street entlang, biegen bei Burger King rechts ab, und dann immer geradeaus. Aber, wenn ich jetzt so darüber nachdenke – es sind bestimmt zwei Kilometer, vielleicht sogar zweieinhalb. Wollen Sie auch zu Fuß zurückgehen?«
    »Ja.«
    Wieder Kopfschütteln. »Es ist ein weiter Weg.«
    »Ich habe Notproviant dabei.«
    Wenn er die Ironie verstanden hatte, ließ er es sich nicht anmerken. »Na dann, viel Glück«, sagte er.
    »Vielen Dank.«
    »Gleich um die Ecke ist ein Taxiunternehmen«, bot er mir noch als letzte Hilfe an.
    »Eigentlich würde ich lieber gehen«, erklärte ich.
    Er nickte unsicher. »Dann viel Glück«, wiederholte er.
    Und so marschierte ich los. Es war ein warmer Nachmittag, und ich fühlte mich wunderbar leicht. Sie können sich nicht vorstellen, wie herrlich es ist, endlich mal ohne Rucksack zu gehen, federnd und unbeschwert. Mit einem Rucksack auf dem Rücken geht man geneigt, geduckt, wie nach vorn gedrückt, die Augen auf den Boden gerichtet. Man stapft, mehr ist nicht drin. Ohne Rucksack fühlt man sich wie befreit. Man geht aufrecht, man sieht sich um, man hüpft, man schlendert, man geht spazieren.
    Wenigstens vier Straßen weit – denn dann kommt man bei Burger King an eine wahnsinnige Kreuzung und muß feststellen, daß die neue sechsspurige Straße bis zum Kaufhaus Kmart lang und schnurgerade und stark befahren ist und daß sie gänzlich ohne Einrichtungen für Fußgänger auskommt, ohne Bürgersteige, ohne Zebrastreifen, ohne Verkehrsinseln, ohne Ampelanlagen an belebten Kreuzungen. Ich lief durch das Gelände von Tankstellen, über Auffahrten von Motels, überquerte Parkplätze, kletterte über Betonsperren, kreuzte Rasenflächen und zwängte mich durch vernachlässigte Geißblatt- und Ligusterhecken sowie Grenzstreifen von Privatgrundstücken. Wenn ich an eine Brücke kam, die über einen Bach führte oder über einen Abflußkanal – und eins kann ich Ihnen flüstern: Stadtplaner sind

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