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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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um den ganzen Himmel und das Tageslicht in sich aufzunehmen. Cadfael vergewisserte sich unterdessen, daß für den langen, anstrengenden Tag alles bereit war.
    Rhun war also an der äußersten Grenze des Glaubens angelangt und in jenes Reich gestürzt oder geflogen oder geschwebt, in dem die Seele erkennt, daß der Schmerz keine Rolle spielt, sondern daß das höchste Wohlbefinden, für das auch die gewandteste Zunge keine Worte finden kann, aus der Vereinigung mit Gott entspringt. Den Schmerz als Geschenk anzunehmen, bedeutet ihn zu verwandeln und ihn in der Form eines segnenden Regens auf andere auszuschütten, die es noch nicht verstanden haben.
    Wer bin ich, dachte Cadfael in der Einsamkeit seiner Hütte, daß ich es wage, um ein Zeichen zu bitten? Wenn er sein Los erträgt und um nichts bittet, sollte ich mich schämen, wenn ich zweifle.
    Melangell schwebte mit tanzenden Schritten über den Weg, der vom Herbarium zum Kloster führte. Rechts spannte sich der Westhimmel, der das Sonnenlicht so hell reflektierte, daß sie den Kopf herumdrehen und hochsehen mußte. Von dort droben strömte eine Gegenflut von Licht herein, brandete den Abhang vom Bach herauf und schäumte über die Hügelkuppe in den Garten. Irgendwo jenseits der Mönchsenklave würden sich die beiden Flutwellen treffen, und dann würde das Licht im Westen unter dem Ansturm aus dem Osten erbleichen und ersterben; hier aber verbargen das große Gästehaus und die Kirche die gerade aufgehende Sonne und überließen dieser zögernden, weichen Vordämmerung das Feld.
    Auf der anderen Seite des Blumenbeetes ging jemand auf leisen, vorsichtigen Sohlen und paßte genau auf, wohin er trat.
    Er war allein. Kein hilfreicher Schatten erschien in seinem Rücken; der Zauber des gestrigen Tages wirkte noch. Sie starrte Ciaran an, Ciaran ohne Matthew. Das allein war schon ein kleines Wunder an diesem Tag, der für Wunder geschaffen war.
    Melangell beobachtete ihn, wie er den Hang zum Bach hinunterstieg, und als nur noch sein Kopf und die Schultern vor dem hellen Himmel zu sehen waren, machte sie plötzlich kehrt und folgte ihm. Der Weg zum Wasser hinunter führte am Erbsenfeld vorbei und verlief über dem Mühlteich an einer dichten Hecke. Auf halbem Weg den Hang hinunter blieb sie stehen; sie war unsicher, ob sie seine Einsamkeit stören durfte.
    Ciaran hatte unterdessen den Bach erreicht und betrachtete das, was wie sicherer grüner Boden aussah, der hier und dort mit gebleichten Sandinseln durchsetzt war. Einige Felsen erhoben sich nach drei Wochen schönem Wetter trocken aus dem Bachbett. Er blickte stromauf und stromab, trat sogar ins flache Wasser, das seine nackten Füße benetzte und sie erfrischte und umschmeichelte.
    Aber wie seltsam, daß er allein gekommen war! Bis gestern hatte sie noch nie einen der beiden allein gesehen, und jetzt gingen sie getrennte Wege.
    Sie wollte sich gerade davonstehlen, ohne ihn zu stören, als sie sah, was er tat. Er hatte ein winziges Ding in der Hand, an dem er ein schmales Band befestigte und mit einem Knoten sicherte.
    Als er die Hände hob, um das Ende des Bandes mit der Schnur zu verknüpfen, die das Kreuz um seinen Hals hielt, schwang der kleine Talisman frei durchs Licht und funkelte einen Moment lang silbern, ehe Ciaran ihn im Hemd verwahrte, so daß er unsichtbar an seiner Brust lag. Nun wußte sie, was es war, und sie regte sich und stieß einen kleinen, atemlosen Freudenschrei aus. Ciaran hatte seinen Ring wiederbekommen, seinen Geleitschutz, mit dem er unbesorgt sein Reiseziel erreichen konnte.
    Er hatte sie gehört und fuhr besorgt und wachsam herum. Sie blieb einen Augenblick erschrocken und verwirrt stehen, doch da sie sich entdeckt wußte, rannte sie den Abhang zu ihm hinunter. »Man hat ihn wiedergefunden!« sagte sie atemlos, um das Schweigen zwischen ihnen zu füllen und ihr unbehagliches Gefühl zu verscheuchen, daß er glauben konnte, sie hätte ihn bespitzelt. »Oh, ich bin so froh! Ist der Dieb gefaßt?«
    »Melangell!« sagte er. »Bist du auch schon so früh auf? Ja, wie du siehst, hatte ich doch noch Glück, ich habe ihn zurückbekommen. Der Ehrwürdige Vater hat ihn mir vor ein paar Minuten gegeben. Aber der Dieb ist nicht gefaßt; er ist mit ein paar Kumpanen in die Wälder geflohen. Aber jetzt kann ich ohne Angst weiterreisen.«
    Seine dunklen, tiefliegenden Augen unter den buschigen Augenbrauen gingen weit auf, als sie plötzlich lächelte, da sie erkannt hatte, daß er trotz seiner Krankheit

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