Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
und ihm damit bei seinem Katz-und-Maus-Spiel zumindest zeitlich direkt auf den Fersen sind. Deshalb wählt er auch stets nur solche Orte für die Ablage seiner Mordopfer, bei denen er ganz sicher sein kann, dass die Leichname schnell gefunden werden.«
»Das heißt, er hat wahrscheinlich vorher genau ausspioniert, dass die Rentner jeden Morgen am Pfaffenbrunnen vorbeikommen«, sagte Tannenberg nachdenklich.
»Das wäre eine logische Schlussfolgerung aus dem, was die Frau Doktor eben gesagt hat«, bemerkte der Oberstaatsanwalt oberlehrerhaft.
»Ja, und wie können wir diesen Kerl überhaupt fassen, wenn er so schlau ist, wie Sie sagen?«, wollte Meier III wissen.
»Hat jemand eine Idee?«, fragte die Profilerin in die Runde.
Betretenes Schweigen.
»Wenn ich das alles, was Sie gesagt haben, wenigstens einigermaßen richtig verstanden habe, dann arbeitet ein Serienmörder an einem Kunstwerk, so pervers wie das auch klingt«, sagte Susi Rimmel plötzlich in die andächtige Stille hinein.
»Richtig, Frau Kollegin.«
»Aber ein normaler Künstler ist ja irgendwann mit seinem Werk fertig. Was macht ein Serienmörder? Hört der auf, oder macht der weiter, wendet sich sogar möglicherweise einem neuen Kunstwerk zu? Oh Gott, ist das abartig!«
»Genau, liebe Kollegin, das ist das Problem. Wir wissen es nämlich nicht. Keiner kann voraussagen, wann er damit fertig ist. Er kann zum Beispiel eine mehrere Monate andauernde Pause einlegen und dann, wie Sie richtig sagten, mit einem neuen Kunstwerk beginnen. Leider ist das eine sehr traurige Erkenntnis, es gibt aber keine andere: So lange er nicht gefasst ist, ist er eine tickende Zeitbombe.«
»Ganz schön frustrierend, was Sie uns hier mitteilen«, bemerkte Fouquet, der seinen Kopf auf beide Handinnenflächen gestützt hatte, deprimiert.
»Aber, aber, wir werden doch jetzt nicht den Kopf hängen lassen. Es gibt durchaus eine Möglichkeit, mit …«
»Ja, welche denn?«, rief Geiger erregt dazwischen.
»Wir haben nur dann eine Chance, ihn zu fassen, wenn wir versuchen, uns in die Psyche des Täters hineinzuversetzen«, fuhr die Profilerin mit ihren Ausführungen fort.
»Und wie?«, setzte Geiger nach.
»Indem wir die Tatorte intensiv besichtigen, uns die Ablaufmuster seiner Taten vergegenwärtigen, seine Verhaltensmuster nachahmen …«
»Soll das etwa heißen, dass ich einen psychopathischen Serienmörder erst dann fassen kann, wenn ich selbst einen Mord begangen habe? Weil ich ja nur dann weiß, wie sich so ein Perversling wahrscheinlich dabei gefühlt hat«, warf Fouquet empört ein.
»Natürlich nicht, Herr Kollege. Wo kämen wir denn da hin?«, lachte die Profilerin. »Es geht einfach darum, sich so nah wie nur irgend möglich seinen Denk- und Empfindungsstrukturen anzunähern. Wie Sie es zum Beispiel mit der Rekonstruktion des Leichentransports versucht haben. Irgendwer hat mal in diesem Zusammenhang gesagt: Wer einen Künstler verstehen will, muss sich intensiv dessen Kunstwerke betrachten. Außerdem macht jeder Mörder irgendwann mal einen Fehler. Auf den müssen wir eben warten. Selbst die intelligentesten Serientäter sind irgendwann so überheblich geworden, dass sie einen Fehler begangen haben …«
»Aber Frau Kollegin«, unterbrach Tannenberg. »Ist es nicht vielmehr so, dass der Serienmörder diesen vermeintlichen Fehler absichtlich begeht, also quasi inszeniert? Denn, wenn ich richtig informiert bin, gehört zu seinem Spiel, dass er sich am Schluss, nach Vollendung seines Kunstwerks, der Polizei stellt, um ihnen den Erfolg der Ergreifung nicht zu gönnen. Oft kommt es ja auch zu einem tödlichen Ausgang. Viele Experten meinen sowieso, dass es sich bei solchen Wahnsinnstaten letztlich um einen inszenierten Selbstmord handelt – wie zum Beispiel bei diesem ›suicide by cop‹, wie die Amis die inszenierte Selbsttötung durch Polizeikugeln ja nennen.«
»Respekt, Herr Hauptkommissar, Sie sind ja wirklich überraschend gut informiert. Woher haben Sie denn Ihre Fachkenntnisse? Haben Sie mal eine Fortbildung zu diesem Thema besucht?«, fragte die Profilerin erstaunt.
»Da muss ich Sie leider enttäuschen, ich bin nämlich ausgesprochen fortbildungsresistent – oder besser gesagt, fortbildungsrenitent. Fragen Sie nur mal den Herrn Oberstaatsanwalt, der wird Ihnen das sicherlich gerne bestätigen. Aber manche Dinge weiß man eben; sogar bei uns hier unten im tiefsten, tiefsten Pfälzer Wald.«
»Nun gut. Ich wollte noch auf das aus ihren bisherigen
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