Pinguin Mord
ältere Damen plapperten aufgeregt durcheinander,
und ein paar elegant gekleidete Geschäftsleute betrachteten
die Fassade eines gegenüberliegenden Wohn- und
Geschäftshauses. Nur noch wenige Wuppertaler wussten, dass im
heutigen Von-der-Heydt-Museum einst das Elberfelder Rathaus
untergebracht war. Heute wurden in dem prächtigen
klassizistischen Quaderbau von 1842 bedeutende Kunst- und
Gemäldesammlungen präsentiert, die Besucher von
überall ins Tal lockten. Prächtige metallene Skulpturen
in Form von übergroßen Greifvögeln an den vier
Ecken flankierten, verbunden durch eine schmiedeeiserne Reling, die
Dachkanten. Heike liebte den Charme des altehrwürdigen
Gebäudes. Im Museumscafé, das seinerzeit vom
französischen Künstler Daniel Buren gestaltet worden war,
herrschte um diese Uhrzeit nur mäßiger
Betrieb.
Heike hatte sich am
Vormittag eine kleine Wohnung am Sedansberg angesehen, die sie
jedoch nicht mieten wollte, weil das Haus in einem schlechten
Zustand war und ihr die Miete zudem überteuert vorgekommen
war. Egal, sie würde weiter suchen. Jetzt saß sie hier
und hörte dem jungen Mann zu, der so für sie
schwärmte.
Heike beobachtete Mike
amüsiert. »Was meinst du mit
Provokationsjournalismus?«, nahm sie den Faden auf und
betrachtete den jungen Kollegen.
»Nenn es, wie du
willst. Ich provoziere gern. Ich will die Reaktionen der Menschen
haben, wenn sie in die Enge getrieben werden, und dann zeigen, wie sie wirklich
sind.«
»Du willst dich
profilieren«, stellte sie schmunzelnd fest.
»Eine gesunde
Profilneurose gehört zum Job.«
»Kannst du mir
mal ein konkretes Beispiel nennen?«
»Könnte
ich«, grinste er. »Aber ich möchte nicht. Noch
nicht. Derzeit arbeite ich an einer ganz heißen Geschichte,
mit der ich bei Eckhardt richtig punkten werde. Dann ist mir das
Volontariat im Sender bestimmt sicher.«
Eine Kellnerin kam und
brachte ihnen zwei Bier. Sie fragte, ob sie auch etwas zu essen
ordern wollten, doch beide verneinten. Heike fragte sich
inzwischen, was dieser junge Kollege eigentlich von ihr wollte.
Erst suchte er den Dialog mit ihr, und jetzt machte er dicht. Mike
Müller schien ihre Reaktion bemerkt zu haben, denn er lenkte
ein. »Aber genug von mir«, sagte er schnell.
»Jetzt will ich was von dir erfahren, etwas von dir
lernen!«
Heike musste lachen.
»Was willst du denn hören? Ich habe den gleichen Weg
hinter mir wie du. Abi am Gymnasium der Siegesstraße, heute
Ganztagsgymnasium Johannes Rau. Wusstest du, dass Rau
tatsächlich dort bis 1948 die Schulbank
drückte?«
»Also hast du
ihn ganz knapp verpasst?« Mike grinste. »Schönen
Dank auch«, lächelte Heike.
»Das mit Rau
wusste ich ehrlich gesagt nicht.«
»Er
verließ die Schule nach dem neunten Schuljahr auf
Drängen seines Vaters, weil der Gute wohl öfters dort die
Schule geschwänzt hatte. Das unterscheidet ihn übrigens
von mir.« Sie lächelte nachdenklich, als sie an den
ehemaligen Bundespräsidenten dachte, dessen Wurzeln in
Wichlinghausen gelegen hatten. Obwohl sie mit Politik nicht allzu
viel am Hut hatte, war Rau ihr schon immer sympathisch gewesen.
Weil er nie seine Wurzeln vergessen hatte und stets ein Mensch
geblieben war. Mit seinen »Dönekes«, die er gern
bei jeder Gelegenheit an den Mann, beziehungsweise an die Frau,
gebracht hatte, konnte er jeden in seinen Bann ziehen. Obwohl er
Wuppertal und seinem Haus am Katernberg aus beruflichen Gründen den
Rücken gekehrt hatte, so war sein Herz stets in Wuppertal
geblieben. Und kurz vor seinem Tod im Jahr 2006 hatte Heike in
Berlin ein Interview mit ihm fuhren dürfen. Eine hohe Ehre
für sie und die Wupperwelle. Umso schwerer hatte sie die
Nachricht von seinem Tod getroffen. Heike räusperte sich und
fuhr fort: »Na ja, danach habe ich ein paar Semester
studiert, zuerst hier in Wuppertal, dann in Köln. Im Anschluss
ein Praktikum und ein Volontariat bei den Kollegen von der
schreibenden Zunft, und dann kam über den Bürgerfunk der
Einstieg bei der Wupperwelle. Radio hat mich schon immer
fasziniert. Es gibt kein schnelleres Medium, niemand ist aktueller.
Daraufhin noch mal ein schlecht bezahltes Volontariat, und danach
bin ich erst als freie, dann als feste Mitarbeiterin bei der
Wupperwelle gestrandet.« Bei der Wupperwelle gestrandet,
wiederholte sie in Gedanken. Wie blumig! »Und bis heute bin
ich dem Sender treu geblieben. Nicht typisch, denn viele Kollegen
wechseln wegen der besseren Bezahlung zu den
öffentlich-rechtlichen Sendern.«
»Das ist
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