Pinguine lieben nur einmal
mich überhaupt nicht belustigen will. Ich will, dass es mir hundeelend geht. Vielleicht will ich mich ja auch selbst bestrafen. Nur wofür? Das kann ich auch nicht so genau sagen. Ich weiß nur, dass sich Leiden im Moment sehr viel besser anfühlt als Freude.
Mit dem Zug fahre ich zum Weihnachtsbummel in die Stadt. Auch wenn es schwer war, mich aus dem Morast an Selbstmitleid, in den ich mich in den letzten Tagen eingegraben habe, wieder herauszuziehen, atme ich ein wenig freier, kaum dass ich das Haus verlassen habe. Vielleicht ist es die Aussicht auf die Einkaufstour. Schließlich liebe ich das Weihnachtsfest und den Geschenkekaufrausch.
Mein Bruder Fabi begleitet mich, was mich im ersten Moment überrascht hat. Vielleicht hat er Angst, dass ich mich auf die Gleise werfe. Ich glaube, er macht sich Sorgen um mich, was irgendwie süß ist. Ständig fragt er, wie es mir geht, bedankt sich, wenn ich mittags für ihn mitkoche, während unsere Mutter arbeiten ist. Er sagt mir, wie lecker er es findet, und fordert mich auf, nicht immer nur im Essen herumzustochern. Beim gestrigen Mittagessen, als meine Gabel orientierungslos über den Spaghetti Carbonara schwebte und ich erneut kritische Blicke von ihm erntete, ist mir rausgerutscht, dass mir Essen im Augenblick nicht sehr sinnvoll vorkommt. Fabi hat mich ernsthaft gefragt, ob ich jetzt magersüchtig werde.
Es hat mich besorgt, dass er in seinem quirligen Kopf mit einem solch überaus abwegigen Gedanken kämpfen muss. Normalerweise sorgt er sich darum, wie er Mama den Brandfleck auf dem Wohnzimmertisch erklären soll, ob er sich ein neues Skateboard leisten oder ein Mädchen aus der Parallelklasse klarmachen kann. Er sollte nicht darüber nachdenken, dass seiner Schwester zum ersten Mal in ihrem Leben etwas auf den Magen geschlagen ist– eine Tatsache, die mich selbst irritiert. Um ihn zu beruhigen, habe ich die Spaghetti gegessen und mich danach besser gefühlt. Na ja. Nicht unbedingt besser, aber wenigstens irgendwie gefüllter.
Wir trotten durch die Geschäfte und sehen zu, wie gestresste Menschen Geschenke kaufen, sie bei noch gestressteren Verkäufern bezahlen und von allergestresstesten Weihnachtsaushilfen einpacken lassen. In meiner Wohnung, in der Küche zwischen HMB und einer Keine-Ahnung-wie-die-heißt-jedenfalls-sieht-sie-aus-wie-eine-verkümmerte-Minipalme-Pflanze steht ein Schuhkarton, beklebt mit rotem Pünktchenpapier, in dem mein Lieblingsschal verpackt ist. Jener Schal, der nach mir riecht und sich schön anfühlt. Auf dem Karton mit dem Pünktchenpapier steht in Großbuchstaben Janoschs Name. Seinen Namen darauf zu schreiben, war eine Maßnahme, die mir direkt, nachdem ich sie ausgeführt hatte, ziemlich doof vorkam. Dann verwechselst du sein Paket nicht mit dem für Cem, habe ich mir eingeredet, aber das war natürlich Blödsinn. Ich war nur irgendwie so stolz, ein Geschenk für ihn gefunden zu haben. Doch jetzt wird Janosch es gar nicht bekommen. Vielleicht war es ohnehin eine saublöde Idee.
Dann kann ich ihn wenigstens wieder anziehen, meinen liebsten Lieblingsschal… Dabei will ich ihn gar nicht. Ich will ihn nicht mehr anziehen. Es fühlt sich an, als gehöre er jetzt Janosch, ob er ihn nun wirklich besitzt oder nicht, selbst wenn er wahrscheinlich für immer in der roten Pünktchenkiste liegen wird. Ich frage mich, was noch alles in der Kiste steckt, das nun alles Janosch gehört, weil ich es nicht mehr haben will.
Fabi und ich haben eine Gemeinsamkeit, wenn es um Geschenke geht. Wir können beide nur schwer für uns behalten, was wir verschenken, und sind gleichzeitig extrem penetrant, wenn es darum geht herauszufinden, was wir geschenkt bekommen. Als wir klein waren, sind wir vor jedem Festtag auf die Suche nach den geheimen Geschenkedepots unserer Eltern gegangen. Nachdem wir sie entdeckt hatten, waren wir einerseits befriedigt, andererseits enttäuscht von uns selbst, weil wir uns damit die Vorfreude vermasselt hatten.
Auf der Rückfahrt im Zug geben wir uns gegenseitig Hinweise, was wir uns schenken. Wir sind mittlerweile reif genug, um es nicht gänzlich zu verraten, und trotzdem noch zu sehr Kind, um die Rätselraterei so weit zuzuspitzen, dass unsere Tipps sehr eindeutig sind. Allerdings haben wir aus der Vergangenheit gelernt und sprechen die Lösungen nicht aus. So viel Spannung muss sein.
Auch Janosch habe ich auf diese Weise auszuquetschen versucht. Nachdem ich ihm unweigerlich klargemacht hatte, dass ich sehr ungern auf ein
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