Pinguine lieben nur einmal
Geburt stattgefunden hat. So als spreche sie mich auf den Mauerfall an.
»Weißt du noch damals, an deinem Zweiundzwanzigsten, hahaha«, erinnert sich Karo.
»Oh Mann, ja«, Janosch schmunzelt, »ich war noch nie in meinem Leben derart betrunken.«
Es zeugt von dem Spaß, den die drei an der Unterhaltung haben, dass sie von Partynächten erzählen. An amüsanten Abenden unterhält man sich früher oder später immer darüber, wer wann wie doll einen sitzen hatte. Man übertrumpft sich mit Häufigkeit und Intensität der Alkoholexzesse, und irgendwann wird ausgepackt, wer wann wie doll kotzen musste.
»Das war aber auch bis heute mein letzter Exzess, das schwöre ich.«
Auf einmal passen hier so einige Puzzleteile nicht mehr ineinander. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie Janosch war, bevor er so wurde, wie er jetzt ist. Irgendwie dachte ich, er war schon immer so. Einen pubertären, kindlichen und über-die-Stränge-schlagenden Janosch habe ich mir nie vorgestellt. Er ist eher einer dieser Menschen, von denen man annimmt, dass sie schon erwachsen, vernünftig und regelkonform geboren wurden. Janosch, mein Janosch, der mal Anwalt wird, der nur lustig, süß und manchmal ein bisschen wild ist, wenn wir unter uns sind– dieser Janosch hat die Zeit mit Karo damit verbracht, rauchend und saufend auf den Putz zu hauen? Es ist, als würden die drei mir Geschichten aus der Vergangenheit eines Fremden erzählen.
»Das hier ist ein Nichtraucherhaus«, bemerke ich, als Karo sich erneut eine Zigarette ansteckt.
Ich ernte ein höhnisches Lachen von ihr.
Janosch sagt zischend: »Lass doch gut sein.«
Jetzt stehe ich als Spießer da. Vielleicht sollte ich losziehen und mir einen Pullunder kaufen.
»Wie spät ist es?«, lenkt Karo ab.
»Halb zwei«, antwortet Simon.
» HALB ZWEI ?«, brüllen Karo und Janosch im Chor und kichern darüber.
Ich bin so was von im falschen Film.
»Kann mir mal jemand sagen, wie ich jetzt noch nach Hause kommen soll?«
Na hoppla, was für ein ungünstiger Umstand! Wie sie nach Hause kommen soll? Mit dem Zug natürlich. Soll sie sich eben auf einen Güterzug setzen und in Marburg abspringen. Oder meinetwegen laufen, ist mir echt wurscht, nur fort soll sie, und zwar dalli.
»Ich kann dich fahren«, bietet Simon an und leert sein drittes Rotweinglas.
Dieser Scherzkeks. Nach drei Gläsern Rotwein und mehreren Bieren könnte ich nicht mehr fahren, mal ganz davon abgesehen, dass man es natürlich nicht darf. Ich könnte nach drei Rotwein und mehreren Bieren ein Auto nicht mal mehr von einem Briefkasten unterscheiden.
»Du kannst nicht mehr fahren, Simon, aber danke. Was soll ich denn jetzt machen?«
Welch Dilemma! Ob ich ihr den Vorschlag mit dem Güterzug unterbreiten soll?
»Du, Janni«, fragt sie.
Ich finde es einfach unverschämt, dass sie seinen Namen derart liebevoll abkürzt. Spontan muss ich an eine Situation denken, die noch gar nicht so lange her ist und in der ich Janosch genau so genannt habe, Janni, und er sagte, das klinge lächerlich. Warum weist er sie nicht zurecht, wenn sie diesen Spitznamen benutzt?
Ich weiß genau, worum sie ihn gleich bitten wird, und es lässt meinen Magen zusammenschrumpeln.
Noch schockierender ist jedoch, dass Janosch ihrer dreisten Frage mit seinem Angebot zuvorkommt: »Du kannst gerne auf meinem Sofa schlafen.«
»Mhm… das wäre natürlich das Praktischste… Aber nur, wenn es dir nichts ausmacht, Feli?!«
Was soll ich darauf sagen? Ich stecke in einer Zwickmühle. Die wahre Antwort ist: Ja, es macht mir etwas aus. Aber das kann ich doch jetzt nicht sagen, oder? Ich kann nicht diejenige sein, die Karo nachts um zwei auf einen Güterzug gen Oberhessen setzt. Janosch würde mir das krummnehmen, und so wie ich mich kenne, würde ich es mir morgen früh, nach einer regenerierenden, wutabschwächenden Portion Schlaf, selbst vorwerfen. Es ist nur seine Couch, nur seine Couch. Ich könnte bei ihm, neben ihm übernachten. Nichts würde passieren. Ich könnte aufpassen. Nur warum habe ich das Bedürfnis, aufpassen zu müssen? Hatte ich je Anlass, Janosch nicht zu vertrauen? Nein. Nur warum verspüre ich dann dieses austrocknende Brennen in meinem Hals und meinem Bauch? Liegt es daran, dass ich gesehen habe, wie gut die beiden sich noch verstehen? Daran, dass ich das Gefühl nicht loswerde, dass er bei Karo mehr er selbst ist als bei mir? Dass ich fürchte, sie haben mehr gemein als wir?
Oder ist der Grund ein ganz anderer? Ich sehe
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