Pinien sind stumme Zeugen
Vorabend war eine große italienische Zeitung mit der Schlagzeile erschienen: MORGEN WÄHLT ITALIEN SEINEN NEUEN ONKEL – UNCLE JOE ODER UNCLE SAM?
Der Wahlsonntag war verregnet, doch als am Abend eine Rekordbeteiligung von 92 Prozent feststand, war mir klar, daß wir gesiegt hatten.«
Nach italienischem Recht mußten die versiegelten Urnen bis zum Mittag des nächsten Tages aufbewahrt werden, bevor die Stimmzählung begann. Als das Ergebnis bekannt wurde, war Mike Plesco, der Wahlmanager hinter den Kulissen, der Held des Tages: Von den 574 Sitzen im Parlament hatten die Kommunisten und Linkssozialisten, entgegen allen Erwartungen, nur 182 errungen.
»Congratulations, Mike«, versetzt Steel.
»Die Italiener sind extreme Individualisten«, analysiert Plesco. »Ihr Hass gegen den Zwang grenzt schon an Anarchie. Aber sie beherrschen auch die Kunst des Improvisierens; deshalb klappt in einem Land, in dem alles schief gehen müßte, letztlich doch fast alles.«
»Sie lieben Italien?«
»Ja«, erwidert Steels Reisebegleiter. »Eine Hassliebe, doch mehr Liebe als Hass – und das ist auch nötig, um diese Südländer zu verstehen. Für unsere Boys, die in Italien landeten, waren die Italiener Exoten. Die Soldaten wußten nicht, wie sie ihnen begegnen sollten, und wurden von ihnen nach Strich und Faden verschaukelt. Zuerst trauten sie allen und dann keinem mehr; beides war falsch. Wenn ich einmal verallgemeinern darf: Die Amerikaner sind sachlich, die Italiener höflich. Da lag schon der erste Grund zum Missverständnis. Unsere Boys hielten die Befreiten wegen ihrer Freundlichkeit durch die Bank für falsch, zumal der eine oder andere tatsächlich einschlägige Erfahrungen machen mußte, vor allem mit den Mädchen. Wie sollten die GIs Menschen verstehen, die sich bekreuzigen, bevor sie zum Dolch oder zur Pistole greifen und anschließend ihre Untaten im Beichtstuhl bereuen? Wo eines der großen Geldinstitute in aller Unschuld den Namen ›Banca dello Santo Spirito‹ trägt, die ›Bank zum Heiligen Geist‹, was sie nicht hindert, mitunter auch von allen guten Geistern verlassene Geschäfte zu tätigen? Wie gesagt, unsere GIs waren gänzlich unvorbereitet auf den italienischen Stiefel losgelassen worden, und die USA hatten nie einen Intelligence-Service unterhalten. So etwas liegt uns Amerikanern nicht – wir haben ja noch immer unsere Wildwestromantik: Ein Cowboy feuert aus der Hüfte und wühlt nicht im Untergrund. Spionage stand für uns moralisch auf einer Stufe mit Raubüberfall oder Kindesschändung. Erst während des letzten Krieges begriff man allmählich, daß man durch Untergrundaktivitäten Blut sparen kann.« Plesco lehnt Steels Zigarette ab, nimmt aber noch einen Schluck Bourbon. »Well, die Italiener hatten den Krieg und den Faschismus längst satt, es gab einen monarchistischen Staat von Besatzungs Gnaden im Süden und einen faschistischen als deutsches Anhängsel im Norden, in dem sich, vor allem in den Bergen, zunehmend der Widerstand formierte. An wen sollten wir uns halten? Das ›Comitato di Liberazione Nazionale‹ (CLN) war ein buntscheckiger Haufen von Kommunisten, Katholiken und Konvertiten, unter den Patrioten auch Maulhelden und Meuchler, untereinander hoffnungslos verfeindet. Da ergab sich die Frage: Welche der vielen Gruppen und Grüppchen sollten wir mit Geld und Waffen unterstützen? Es konnte geschehen, daß die Engländer einem Partisanenverband halfen, den wir bekämpften und umgekehrt. Missverständnisse solcher Art gab es am laufenden Band, wenn auf einer Seite neben den Amerikanern und Engländern Brasilianer, Inder, Algerier, Australier, Marokkaner, Franzosen, jüdische Freiwillige, Polen, Neuseeländer, Kanadier – und das sind noch lange nicht alle – kämpften. Die Spezialität dieses blutig-burlesken Kriegsschauplatzes, den Churchill gegen die Absicht des Weißen Hauses durchgepaukt hatte, war, daß sich die Gegner nicht nur blutig bekämpften, sondern auch lukrative Geschäfte miteinander abwickelten: Die Waffen, die wir per Schiff an Land brachten oder aus der Luft abwarfen, wurden nicht selten von Pseudo-Partisanen gegen harte Währung an die Deutschen verscheuert, und der Feind bezahlte mit Himmler-Geld, mit gefälschten Pfundnoten. Da wären wir also mitten im Thema, Bob.« Er sieht, daß ihm sein Zuhörer konzentriert folgt und ihn nicht durch Zwischenfragen unterbrechen will. »Wenn wir anfänglich einmal auf die richtigen Italiener setzten«, fährt er fort,
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