Pinien sind stumme Zeugen
Hausbar.
Der Ermittler braucht nicht lange zu warten. Die Freundin oder Braut des Colonel kommt offensichtlich ohne Umweg aus der Badewanne. Sie trägt einen bodenlangen Morgenmantel über dem Nachthemd. Ihre sanftroten Haare sind flüchtig hochgesteckt und bilden farblich einen hübschen Kontrast zu der pikanten Blässe ihres Gesichts, das von grünen Augen beherrscht wird. Sie ist gepflegt, schlank, mittelgroß, eine Schönheit, die ebenso ladylike wie impertinent sein kann. »Sit down, please, Mr. Gambler«, begrüßt sie ihren Gast und mustert ihn ungeniert, offensichtlich durchaus zufrieden. »Sorry«, sagt sie, »wenn ich gewußt hätte, daß Sie so ein schicker junger Mann sind, hätte ich mich sorgfältiger zurechtgemacht.«
»Das haben Sie doch nicht nötig«, versichert Gambler höflich, wiewohl ihn ganz andere Dinge interessieren.
»Noch nicht«, stellt sie sarkastisch fest. »Ich bin fünfunddreißig – gerade geworden.« Ungeniert fragt sie: »Wie alt sind Sie?«
»Sechsundzwanzig«, antwortet der Offizier, »demnächst.« Seinem Gesichtsausdruck nach schämt er sich einen Moment lang dafür, so jung zu sein.
»Coffee, tea, brandy?« fragt die Gastgeberin.
»Coffee, please.«
Die Baronin klingelt dem Mädchen und drapiert sich malerisch auf der Couch. Der Morgenmantel öffnet sich einen Spalt und gibt den Blick auf makellose Beine frei. Vielleicht ist es Absicht, oder Wintersheims Dritte ist von Haus aus so frei und unbekümmert.
»Ich muß Ihnen ein paar Fragen stellen, Baronin«, beginnt Gambler vorsichtig. »Es handelt sich um Ihren geschiedenen Mann.«
»Um Ralph? Haben Sie ihn endlich geschnappt?«
»Warum sollten wir ihn denn schnappen?« fragt der CIC-Offizier.
»Dafür gäbe es über ein Dutzend Gründe …«
»Bitte, nennen Sie mir einen«, sagt der Besucher.
»Lassen Sie mir Zeit«, entgegnet die Zeugin. »Ich bin nicht die Frau, die über einen Mann herzieht, wenn sie sich von ihm getrennt hat«, behauptet sie. »Aber ich habe Ralph schon nicht ausstehen können, als ich noch seine Frau war.«
Es klingt überzeugend, doch Gambler weiß längst, daß es auch falsche Töne gibt. »Wo hält sich Ihr Ex-Mann zur Zeit auf?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt.« Die Baronin sieht den Besucher voll an. »Seit meiner Scheidung im Spätherbst 44 hab' ich nichts mehr von ihm gehört.«
»Auch nicht über Dritte?« fragt der US-Offizier.
»Auch nicht über Dritte«, erklärt sie.
»Nehmen wir einmal an, es gibt ihn noch«, examiniert Gambler weiter, »wo würde er wohl leben?«
Die Baronin denkt kurz nach. »Bei Kriegsende kroch er vermutlich in Schweden oder in der Schweiz unter. Praktisch könnte er sich überall aufhalten. Ralph hatte einen Diplomatenpaß. Er könnte genausogut in den Vereinigten Staaten sein wie in Italien oder Spanien. Er ist ein Mann mit Beziehungen. Keiner mochte ihn eigentlich, trotzdem hatte er enorm gute Verbindungen.«
»Warum haben Sie diesen Mann eigentlich geheiratet?« fragt der Captain.
»Liebe war es wohl nicht«, spottet sie. »Junger Mann«, setzt die Zeugin hinzu, »ich wurde als Deutsche geboren, und Germany verwandelte sich unter den braunen Stiefeln zu einem riesigen Gefängnis. Die Volksgenossen hatten im Land zu bleiben, zu arbeiten, den Mund zu halten, zu hungern, zu frieren und zu sterben. Es gab natürlich auch einige Privilegierte, die weit oberhalb dieser Volksgemeinschaft angesiedelt waren. Ralph gehörte zu ihnen. Wenn ich seinem Heiratsantrag stattgab, konnte ich künftig mit ihm ins neutrale Ausland reisen, mir schicke Sachen kaufen, mich satt essen und nachts schlafen, ohne auf das Geheul der Luftschutzsirenen zu warten und Bombeneinschläge zu fürchten.« Ihr Lächeln zeigt herrliche Zähne. »Ist das nicht Grund genug, einen international gefragten Gentleman zu heiraten, der noch dazu …«, sie bricht den Satz ab, greift sich eine Zigarette.
Gambler gibt ihr Feuer. »Noch dazu?« wiederholt er.
»An eine Frau wenig Ansprüche stellte«, konstatiert die Baronin und setzt mit brutaler Ehrlichkeit hinzu: »Ein Herrenreiter, der eigentlich mehr auf Stallburschen abonniert war.«
»Sie meinen, er war …«
»Er gehört zur Hinternationale«, ergänzt die Baronin und genießt die Verlegenheit des jungen Amerikaners. »Zu deutsch: Ralph war schwul. Aber das gehört wohl nicht zu Ihrer Untersuchung.«
»Unter Umständen sehr wohl.« Der junge Offizier aus Detroit fängt sich wieder. »Vielleicht hängt
Weitere Kostenlose Bücher