Pink Christmas (German Edition)
hatten.
Seine Mutter war auf dem Weg zu Jakubs Wohnung mit dem Fahrrad angefahren und tödlich verletzt worden. Sie starb noch auf der Straße, wenige Momente, bevor der Notarzt eingetroffen war. Jakub hatte an der Beerdigung seiner Mutter vor ihrem Sarg gestanden und ein paar kurze Worte an die trauernden Gäste gehalten. Er versuchte, sie in Worte zu fassen, sie so zu beschreiben, wie sie die meisten der in schwarz gekleideten Menschen, die Jakub nicht alle kannte, kennengelernt und geschätzt hatten. Es war ihm nicht gelungen, zumindest glaubte er das. Baran saß in der ersten Reihe und hielt die Hand von Jakubs Vater, während Jakub sprach. Es war eine Situation gewesen, die er nun ganz weit weg von sich schieben wollte. Vor dem Sarg seiner viel zu jung gestorbenen Mutter zu stehen war eine Tatsache, die noch immer nicht zu erfassen war.
Es klapperte und Jakubs Vater stieß ein paar leise Flüche aus, die in diesem Haus normalerweise nicht geduldet wurden. Er wusste, was er zu tun hatte und doch war schon allein das Aufstehen von der Couch eine Leistung, zu der sein Körper nicht in der Lage war. Oder sein Geist? Wie sollte er etwas ablegen, was er sein Leben lang getan hatte? Wie sollte er plötzlich weinend vor seinen Vater treten? Wie sollte das möglich sein? Es war einfacher, alles seinen Gang gehen zu lassen und seinem Naturell entsprechend zu handeln. Doch welcher Jakub war er denn? Der, der in Barans Gegenwart zu einem Häufchen Elend wurde oder der, der die Fassung bewahrte, stark war und so tat, als würde alles wieder in Ordnung kommen? Oder schon in Ordnung war? Jakub wusste nicht, welcher Jakub er sein wollte und zu welchem er gerade jetzt werden musste.
Baran kehrte die Scherben des zu Bruch gegangenen Tellers zusammen, lächelte Jakub kurz mit einem aufmunternden Blick an und verschwand in dem dunklen Gang, aus dem er gerade gekommen war.
Das Scheppern, das aus der Küche kam, erinnerte ihn wieder daran, zu welchen Gedanken er zurückkehren musste. Er stand auf und wandte sich wieder der schneeweißen Landschaft vor dem Fenster zu. Es war eine eiskalte Nacht, eine, die es nicht duldete, dass der Schnee, der wenige Nächte zuvor gefallen war, wieder verschwand. Unter keinen Umständen durfte eine weiße Weihnacht verhindert werden. Wie wunderschön der Garten war, den seine Mutter immer mit echter Hingabe gepflegt hatte. Friedlich lag er da. Still. Still und eiskalt. Jakub hatte Angst, dass dies auch die Worte sein könnten, die ihn eines Tages beschreiben würden und drehte sich schließlich um, ging auf den Esstisch zu, nahm sein Weinglas vom Tisch und leerte es in einem Zug. Die Tränen, die sich meldeten, wies er entschieden zurück. Nicht jetzt.
Nicht jetzt.
Er ging auf die Tür zu, die in die Küche führte und blieb vor ihr stehen. Er sah an die Decke, schloss die Augen und atmete tief durch. Baran, der wieder das Wohnzimmer betreten hatte, bemerkte er nicht, als er durch die Tür trat.
Sein Vater machte sich gerade am Ofen zu schaffen und sah kurz auf, als Jakub eintrat.
„Ist der Tisch gedeckt?“, fragte er, nun wieder seinem Braten zugewandt.
„Baran ist dran.“
„Ah. Gut, gut“, gab sein Vater zurück und stellte sich an die Spüle, um den Salat zu waschen.
„Hey“, begann Jakub und trat näher.
„Ja?“, erwiderte sein Vater und sah nicht auf. „Was ist los?“
Ja, was war los? Was sollte er nun sagen?
„Ach, schon gut.“
Sein Vater sah vom Salat auf und seinen Sohn zum ersten Mal in die Augen. „Hast du geweint?“
„Ja.“ Dieses Mal war es Jakub, der den Blick senkte und nicht standhalten konnte. „Es ist das erste Weihnachten ohne sie“, setzte er noch hinzu.
Sein Vater sah ihn wieder an. Die Tränen füllten seine blauen Augen, waren jedoch noch nicht so zahlreich, als dass sie über die Wangen laufen konnten.
„Ja“, war alles, was sein Vater erwiderte.
Da geschah etwas, was Jakub nicht für möglich gehalten hätte. Etwas, an das er sich nicht erinnern konnte. Sein Vater kam auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. Jakub vergrub sein Gesicht an der Schulter seines Vaters und ließ es geschehen. Er war ganz Sohn und sein Vater durfte ihn trösten, ohne dass auch er stark sein musste. Jakub spürte, wie auch sein Vater weinte, doch das Gefühl, das ihn erfüllte, war keine Trauer oder Verzweiflung. Es war geteilter Schmerz. Einer, den der andere verstand, ohne dass man ihn erklären oder beschreiben musste. Ein Schmerz, der natürlich war, der
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