Pink Christmas (German Edition)
auf sein Gesicht, das kurz davor war, alle Fassung zu verlieren. Auch ihm fiel es schwer, all das hier durchzustehen. Eine Farce, dachte Jakub. Eine dilettantische Abendveranstaltung, zu der keiner die Lust und auch nicht die Kraft hatte. Doch sie abzubrechen, dazu hatte er kein Recht – und auch nicht den Mut. Sein Vater verschwand wieder in die Küche.
„Alles in Ordnung?“, fragte Baran und trat neben Jakub. In solchen Momenten fiel es Jakub besonders schwer, stark zu sein. In Barans Nähe konnte er sich gehen lassen und er selbst sein. Doch es war der falsche Ort dafür. Hier zusammenbrechen? Niemals.
„Es geht schon“, gab er zurück und holte vier Teller aus dem Schrank seiner Eltern. Als er sich umdrehte, rutschte ihm einer aus der Hand und fiel klirrend zu Boden.
„Ach! Verdammte Scheiße!“, schrie Jakub und wollte die anderen Teller gleich mit dazu auf den Steinboden knallen. Sollten sie zerbrechen, damit sie sich genauso fühlten, wie er sich fühlte.
„Komm“, Baran nahm Jakubs Hand und führte ihn zur weißen Couch des Wohnzimmers. „Hast du dir wehgetan? Geschnitten vielleicht?“
„Nein, alles in Ordnung.“
„Was ist denn passiert?“, schrie Jakubs Vater aus der Küche zu ihnen herüber.
„Ein Teller ist zu Bruch gegangen“, schrie Baran zurück. „Nichts Schlimmes.“
„Hör zu.“ Baran sprach nun wieder leiser und eindringlich „Dein Vater leidet. Du leidest. Alle hier leiden und niemand spricht es aus. Alle schweigen. Es ist schrecklich und fast nicht zu ertragen.“
„Hör auf.“ Die Tränen kamen zurück und Jakub konnte sie nicht zurückhalten.
„Jakub“, Baran nahm Jakubs Hände und hielt sie fest. „So leid es mir tut, dir das sagen zu müssen, aber er ist noch alles, was du an Familie hast.“
„Hör auf, bitte.“
„Jakub!“ Baran sprach in einem Ton mit ihm, den Jakub nicht von ihm kannte. Er sah ihn an. Zumindest versuchte er es. Die Tränen schienen sich zum Ziel gesetzt zu haben, seine Augen wegzuschwemmen. Sie hatten Erfolg und er senkte wieder den Blick.
„Deine Mutter ist tot, Jakub. Gestatte dir und deinem Vater zu trauern. Ohne dass der eine sich vor dem anderen immer wieder einredet, stark zu sein. Das ist doch albern.“ Er wischte ihm mit der Hand über die tränennasse Wange und lächelte Jakub an. „Ihr seid eine Familie und weinen bedeutet nicht zwangsläufig, schwach zu sein. Manchmal hilft es demjenigen, der den gleichen Schmerz teilt.“
„Oh Gott.“ Jakub vergrub sein Gesicht in seinen Händen und schluchzte. Dies hatte er schon Wochen nicht mehr getan. Er hatte die Beerdigung als Abschlusspunkt der Trauer betrachtet. Mit ihr war der Fall „Mutter zu Grabe tragen“ abgeschlossen gewesen und er konnte nun beginnen zu verarbeiten. Ohne Tränen. Im Kopf. Wenn das Leben so funktionieren würde, wäre es vielleicht einfacher, aber sicherlich nicht das, was man Leben nennt.
Baran nahm seinen Freund in den Arm und drückte ihn fest an sich. „Ich liebe dich, Jakub!“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Bitte lass deine Trauer zu und vergrabe nicht alles in dir.“
„Ich liebe es, wenn du so geschwollen daherquatscht“, sagte Jakub, zog sich von Baran zurück und versuchte zu lächeln.
„Deswegen wolltest du mich ja: Gut aussehend und auch noch was in der Birne“, auch er lächelte. Jakub gab ihm einen Kuss und trocknete sich anschließend seine Wangen mit dem einzigen Taschentuch, das er mitgebracht hatte.
„Ich mache mal deine Scherben weg.“ Baran stand auf, küsste Jakub auf die Stirn und verschwand in Richtung Abstellkammer.
Es war gar nicht lange her gewesen, da hatten sie alle zusammen in diesem Haus gewohnt. Jakubs Mutter, sein Vater, Baran und er. Weil seine Eltern einen schwulen Sohn nicht akzeptierten, kam Baran schließlich in Jakubs Haus unter und hatte seitdem auch nie wieder mit seinen Eltern gesprochen. Bei all der Weisheit in seinen Worten, hatte auch Baran seine Baustellen im Leben zu bewältigen. Wie gut, dass Jakub in solchen Situationen dann derjenige war, der es besser wusste und schlaue Ratschläge erteilte, die wiederum Baran nicht hören wollte. Vor zwei Jahren waren sie ausgezogen und hatten sich in der Stadt eine nette Altbauwohnung genommen, die nicht nur bezahlbar, sondern auch noch gemütlich eingerichtet war. Jakubs Mutter stand in Farbfragen Gewehr bei Fuß und hatte schließlich dafür gesorgt, dass ihre beiden Söhne, wie sie Jakub und Baran immer genannt hatte, es so schön wie möglich
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