Pirat des Herzens
daß Mary Stanleys Sohn einen papistischen Verrückten unterstützt. Deshalb hielt ich es für meine Pflicht, mich zunächst vom Wahrheitsgehalt zu vergewissern, ehe ich Euch mit dummen Gerüchten beunruhige.«
Vielleicht hatte Cecil recht. Es gab keinen plausiblen Grund, warum O’Neill Verrat üben sollte. Obgleich er kein gottesfürchtiges Leben führte, war er überzeugter Protestant. Welche anderen, nichtreligiösen Gründe mochten den Ausschlag geben, FitzMaurice zu unterstützen?
»Der Schuft wird allem Anschein nach sehr gut bezahlt«, erklärte Ormond. »Wir müssen FitzMaurice ausschalten, und vorher muß O’Neill festgesetzt werden.«
Elisabeth war zu wütend, zu gedemütigt, um einen klaren Gedanken fassen zu können.
»Liam O’Neill hat keinen Funken Ehre im Leib«, fauchte sie mit bebender Stimme. »Er ist ein Pirat, ein Mörder, dem es nur um seinen Profit geht. Er ist ein Verräter an der Krone.«
Perrot knurrte zustimmend. Cecil und Tom standen reglos und stumm.
»Ich will seinen Kopf«, kreischte die Königin.
Perrot trat näher. »Setzt einen Preis auf seinen Kopf aus. Heftet ihm Drake oder Frobisher auf die Fersen. O’Neill mag noch so viele Haken schlagen, Drake bringt ihn zu Fall.«
Elisabeth schluckte mühsam. Der Gedanke, Liam O’Neill von ihrem größten Seefahrer verfolgen zu lassen, jagte ihr Kälteschauer über den Rücken. Wer würde den Kampf gewinnen? Vielleicht würde sie beide Männer verlieren.
Elisabeth schloß die Augen. Sie mußte ihren goldenen Piraten festnehmen und ihn wegen Hochverrat vor Gericht stellen. Und dann... kam er an den Galgen.
Elisabeth räusperte sich. »Ihr habt recht, Sir John. Derjenige, der mir Liam O’Neill bringt, wird mit fünfzigtausend Pfund belohnt.«
Cecils Augen weiteten sich. »Unser Staatshaushalt ist stark belastet, Majestät«, murmelte er warnend.
»Was schert mich das?!« schrie sie gellend. Sie hatte keine Lust, jetzt an Geld zu denken. »Ich will seinen Kopf!« Dann sah sie das goldblonde Haupt auf eine Lanze gespießt, und ihr Magen drohte sich umzudrehen. »Ich will ihn lebend«,preßte sie hervor. Sie mußte mit ihm sprechen, mußte eine Erklärung für sein Handeln von ihm erfahren.
Und plötzlich kam ihr ein Gedanke, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es gab einen Mann, der nach Liam O’Neills Kopf lechzte, dessen Motivation größer war als Habgier. Ein Mann, der aus Rache handelte, der einen tiefen, dunklen und persönlichen Haß gegen den Herrn der Meere hegte.
»Schickt John Hawke zu mir!« rief sie schneidend.
Juliet zügelte die dreijährige, vor kurzem zugerittene Stute. Sie saß sehr sicher im Sattel des nervös tänzelnden Tieres.
Unter ihr lag Hawkehurst. Das große Herrenhaus war jahrhundertealt und ein wenig baufällig. Doch Juliet liebte das alte Gemäuer, fand es viel hübscher als ihr protziges Elternhaus mit den vielen Türmen, Erkern und bunten Glasfenstern. Ihr war bang ums Herz. Aber was war dabei, wenn Katherines Freundin John Hawke einen Besuch abstattete? Der Verwalter von Thurlstone hatte berichtet, daß Hawke gestern nachmittag angekommen sei.
Tief in ihrem Innern wußte Juliet, daß sie sich selbst belog. Sie verdrängte ihre bangen Gedanken. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er wütend über Katherines Entführung gewesen. In welcher Stimmung mochte er diesmal sein? Trauerte er um sie?
Juliet lenkte die temperamentvolle, kastanienbraune Stute den Hügel hinunter. Je näher sie dem hohen Steintor von Hawkehurst kam, desto banger wurde ihr ums Herz. Die Hufe der Stute klapperten auf dem Kopfsteinpflaster im runden Innenhof. Juliets Puls hämmerte. Das Pferd tänzelte in engen Kreisen, schnaubte unruhig. Das schwere, verwitterte Portal öffnete sich; Hawke trat heraus.
Juliet hatte vergessen, wie hochgewachsen, wie dunkel er war. Sie hatte vergessen, daß er ihr ein wenig Angst machte. Und sie hatte vergessen, wie schön er war.
Er trug ein einfaches Hemd, eine abgetragene Lederweste, Reithosen und Stiefel. Er eilte die Treppe herunter und nahm die Zügel der Stute, die sich sofort beruhigte. Seine ernsten Augen suchten Juliets Blick.
Juliet spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Nein, er konnte ihre geheimsten Gedanken nicht erraten. Er konnte nicht wissen, welch sündige Gedanken sie nachts überfielen.
Ebensowenig konnte er wissen, mit welcher Sorgfalt sie sich für diesen Besuch gekleidet hatte. Ein Kleid nach dem anderen hatte sie verworfen, sich
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