Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Piratenmond - Wooding, C: Piratenmond - Retribution Falls

Piratenmond - Wooding, C: Piratenmond - Retribution Falls

Titel: Piratenmond - Wooding, C: Piratenmond - Retribution Falls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Wooding
Vom Netzwerk:
immerwährender Liebe,
    Amalicia
    Nun bin ich ja endlich hier, dachte Frey.
    Am Kopfende der Treppe wartete ein weiterer Flur mit weiteren Türen zu beiden Seiten. Jede führte zu einer privaten Studierzelle mit einem kleinen Lesepult auf dem Boden, einer Matte zum Hinknien und einem Fensterschlitz hoch oben. Es gab weitere Klassenzimmer und eine Tür zu
einer Bibliothek, die verschlossen war. Er wollte gerade die nächste Tür probieren, als plötzlich, verblüffend nah, eine Stimme an sein Ohr drang.
    »Es ist Euphelia, die ist es. Sie zieht alle anderen herunter.«
    Er hechtete in ein Klassenzimmer und kauerte sich hinter die Türleibung, als zwei Frauen mit Pantoffeln an den Füßen um die Ecke gesegelt kamen.
    »Sie nimmt ihre Studien sehr ernst«, erwiderte die andere. »Sie ist furchtbar gewissenhaft.«
    »Dann ist sie einfach nicht sehr intelligent«, erwiderte die Erste. »Ihre Kenntnisse des Kryptonomikons sind kläglich.«
    Die beiden Gestalten rauschten draußen auf dem Flur vorbei. Frey erhaschte einen Blick von ihnen. Sie waren mittleren Alters, mit ergrauendem Haar und maskulinen, praktischen Frisuren, und sie trugen die weißen Sprechersoutanen.
    »Sie hat aber eine Begabung fürs Knochenwerfen«, beharrte die zweite Frau.
    »Hat sie, hat sie. Die Zeichen sind unverkennbar. Aber ich frage mich, ob sie jemals lernen wird, die Knochen zu deuten.«
    »Vielleicht sollten wir bei ihr die Kleromantie mehr in den Mittelpunkt stellen und sie in den anderen Fächern etwas entlasten.«
    »Und einen Sonderfall aus ihr machen? Du meine Güte, nein. Wenn wir bei ihr anfangen, müssen wir es bei allen tun. Wo kämen wir denn da hin?«
    Die Stimmen verklangen, als sie um die Ecke bogen, und Frey entspannte sich. Anscheinend gab es in der Einsiedelei selbst in tiefster Nacht noch Patrouillen. Vielleicht wollten sie Akolythen erwischen, die sich in die Speisekammer schlichen. Oder etwas dergleichen. Nun, er würde vorsichtig
sein müssen. Er glaubte nicht, dass er es mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, eine Frau k.o. zu schlagen.
    Kurz darauf fand er den Mädchenschlafsaal und schlüpfte hinein.
    Er blieb eine Weile unmittelbar hinter der Tür im Dunkeln stehen. Mondlicht fiel durch zwei Oberlichter auf zwei Reihen von Etagenbetten. Etwa fünfzig Mädchen schliefen hier, ihre eingekuschelten Silhouetten in kaltes Licht getaucht. Der Raum war auf sanfte Weise erfüllt von seufzendem Atmen, hin und wieder unterbrochen von einem leisen Schnarchen. Ein Duft hing in der Luft – kein Parfüm, sondern etwas Undefinierbares und Weibliches, in gefährlicher Konzentration. Frey überkamen höchst seltsame Frühlingsgefühle.
    Er war so etwas wie ein Fachmann in der Kunst, durch die Zimmer von Frauen zu schleichen, ohne sie zu stören. Indem er wartete, ließ er jedoch Vorsicht walten. Die von seinem Eintreten verursachte leichte Störung mochte einige der Mädchen nah an die Oberfläche des Schlafes gebracht haben, und jedes kleine Geräusch konnte sie wecken. Er gab ihnen Zeit, in die Tiefen zurückzugleiten, bevor er weiterging.
    Und außerdem wollte er den Moment genießen. Es war wirklich etwas ganz Besonderes, hier zu sein.
    Lautlos ging er zwischen den Betten hindurch und sah sich die mondbeschienenen Gesichter der Mädchen der Reihe nach an. Enttäuschenderweise waren sie in natura nicht ganz so sinnlich wie in seiner Fantasie. Einige waren einfach noch zu jung – er hatte schließlich Prinzipien –, andere zu unscheinbar oder zu dick, oder sie hatten zu eng beieinanderstehende Augen. Ihre Frisuren waren langweilig, und keine war auf irgendeine Weise angehübscht. Ein oder
zwei schliefen mit dem Kopf unter dem Kissen oder verbargen das Gesicht mit den Armen, aber sie hatten nicht Amalicias schwarze Haare, und ihre Hände – sie verrieten immer alles – waren zu alt.
    Er hatte beinahe das Ende des Schlafsaals erreicht, als er sie sah. Sie schlief in einem der unteren Betten, den Kopf auf den verschränkten Händen, den Mund leicht geöffnet, das Gesicht entspannt. Selbst ohne die eleganten Frisuren und das fachkundig aufgelegte Makeup früherer Zeiten war sie schön. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr in Strähnen übers Gesicht; die Rundung der Lippen, die Form der Nase, ihre Kinnlinie – alles war genau wie in seiner Erinnerung. Bei ihrem Anblick verspürte Frey ein plötzliches Bedauern, und er erstickte es rasch.
    Er kniete sich hin und berührte sie an der Schulter. Als sie nicht reagierte, schüttelte er

Weitere Kostenlose Bücher