Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)
und es stellte sich heraus, dass die Fahrt nur bis zum nächsten Häuserblock ging. Kunden orderten ein Taxi und waren bereits auf und davon, wenn der Wagen Minuten später bei ihnen vor der Haustür hielt, oder hatten plötzlich riesige Hunde dabei, von denen vorher nicht die Rede gewesen war, und der Fahrer weigerte sich, die Tiere in den Wagen zu lassen. Ein Anrufer bestellte eine Pizza Furiosa und zwei Flaschen Bier, weil er mich für den Pizza-Service hielt. Eine junge Frau rief an und sagte, es ginge ihr schlecht, sie müsse unbedingt mit irgendwem reden.
Ich hatte Kopfschmerzen, die Augen brannten und mein Magen hatte mir den Krieg erklärt. Mein Körper dampfte, als säße ich in einer finnischen Sauna. Ich verfluchte Jutta und verfluchte mich, dass ich mich auf diesen Alptraum eingelassen hatte. Ich wünschte den Fahrern, die mich unentwegt anschrien oder keine Antwort mehr gaben, wenn ich sie rief, die Pest an den Hals. Aber am meisten verwünschte ich die, die lauthals Straßennamen in den Hörer schrien, ohne eine Hausnummer zu nennen. Die die Hausnummer sagten, aber den Namen nicht nannten und aufgelegt hatten, ehe ich nachfragen konnte. Kunden, die auf die Frage nach der Adresse antworteten: „Wir sind hier bei meiner Schwester in Pesch.” – Klick!
Zum ersten Mal begriff ich, dass die Welt tatsächlich ein Irrenhaus ist, ein Ort, bevölkert von einer Rasse tumber Idioten, nur dazu da, mich in den Wahnsinn zu treiben. Ich hockte da, flankiert von Jammer und düsterer Panik, mühte mich, endlich Ordnung in das Chaos zu bringen und verfolgte stattdessen mein eigenes, unaufhaltsames Scheitern. Ich sehnte mich zurück nach den Tagen, da ich auf dem Bau gearbeitet hatte. Als das einzige, was mich quälte, die aufgeplatzten Blasen an meinen Händen waren. Ich wurde hysterisch, und Selbstmordgedanken gerieten mir jäh in den Sinn. Als unvermutet der Fahrer von Wagen 8 in der Zentrale erschien und auf mich loszugehen versuchte.
„Komm her, ich mach’ dich zu Mus!”, schrie er mich an, und ich musste lächeln wegen dieses veralteten Ausdrucks, den er gebrauchte.
Aber mein Lächeln brachte ihn nur noch stärker gegen mich auf. Er warf sich quer über den Tisch und packte mich vorn an der Brust.
„Weißt du, wie viele Leerkilometer ich heut’ Nacht gefahren bin? Weißt du das?”, belferte er, und seine Stimme überschlug sich dabei.
Das schüttere Haar hing ihm wirr ins Gesicht, das tomatenrot glühte und mir sagte, hier ist ein fünfzigjähriger Mann, der nicht bereit ist, sich von einem grünen Jungen wie mir zum Narren halten zu lassen.
Sein Griff wurde härter. Ich sprang hoch und stieß ihn mit einer heftigen Bewegung zurück. Er verlor sein Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
„Das tut mir leid!”, rief ich erschrocken, „das wollte ich nicht!”
Ich ging zu ihm, um ihm auf die Beine zu helfen. Er holte aus, und sein Schlag traf mein Auge. Sterne zerstoben vor einem Tuch aus blitzenden Nebeln zu kaleidoskopfarbenen Staub.
Er lächelte, sichtlich zufrieden. „Tut mir leid”, sagte er kalt, „das wollte ich auch nicht!”
Dann stand er auf und verschwand. Ich stand da, hielt mir das Auge und spürte, wie es unter meiner Hand anzuschwellen begann.
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Ich lieh mir Lutz’ Wagen, um nach Dortmund zu fahren. Als ich von der B1 abfuhr, um auf die Lindemannstraße zu kommen, blühte ich auf. Es viel mir schwer, nachvollziehen, was mich veranlasst hatte, dieser Stadt den Rücken zu kehren. Ich fühlte mich wie der nach langer Abwesenheit zurückkehrende Sohn, den man mit offenen Armen empfing. Träge wie eine halb ins Erdreich vergrabene Kröte hockte die Stadt unter einem aschgrauen Himmel, durchdrungen von einem Karma der Ruhe. Zäh, aber ohne Hektik, wälzte sich der Verkehr durch die Straßen. Ab und zu blitzte keck ein Sonnenstrahl durch die aufbrechenden Wolken.
Meine Heiterkeit verflog, als ich an Zacks Krankenbett stand und auf seine Mutter traf, die mich aus rotgeränderten Augen anblickte und in ihrem Schmerz auf ihre Handknöchel biss.
„Ich bete jeden Tag, dass er aufwachen soll”, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme. „Ich bete, aber der liebe Gott hört mir nicht zu.”
Sie war eine kleine, schmächtige Frau in abgetragenen Kleidern, die seit zwanzig Jahren, sechs Tage die Woche, in einem Heimwerkermarkt an der Registrierkasse saß. Ihre Haut war so wächsern wie die ihres Sohnes, der schwach atmend dalag und fast bis zur Unkenntlichkeit abgemagert war,
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