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Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)

Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)

Titel: Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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mehr der Schatten einer Existenz als ein lebendiges Wesen, fremd und unerreichbar, Gefangener einer unbekannten Welt, die ihm den Passierschein für die Rückkehr in das Leben vorenthielt, ohne uns Außenstehenden zu sagen, warum. Schweigend saßen wir auf unseren Stühlen und starrten ihn an. Verharrten auf unseren Sitzen, unbeweglich wie er, hielten uns an den Händen gefasst.
    „Es ist Zeit”, sagte Zacks Mutter, als es vor dem Fenster Abend wurde. „Es ist Zeit, ich muss gehen.”
     
    ****
     
    „Schreib es auf!“, hatte Monty gesagt. „Schreib es auf, es ist wichtig.“ Draußen war es noch dunkel, der Fernseher lief wie gewohnt ohne Ton. Die Telefone schwiegen, die Fahrer schliefen in ihren Taxis oder waren ausgestiegen, um irgendwo einen Kaffee zu trinken. Ich holte ein kariertes Schulheft hervor und fing an zu schreiben. Monty hatte recht. Es war wichtig für mich.
     
    In der niedrigen Küche saß ein noch junger Mann und beobachtete eine Wespe, die auf dem Fensterglas lief und versuchte, einen Weg ins Freie zu finden. Die alte Siepers war aus dem Nachbardorf herübergekommen und hatte sich eilig am Herd zu schaffen gemacht. Wasser wurde erhitzt, saubere Tücher aus den Schränken genommen. Der Mann saß da und blickte starr auf die Wespe. Von nebenan aus der Schlafkammer drangen die unterdrückten Schreie der werdenden Mutter, die eintönige Stimme der Siepers, die der Gebährenden zuredete. Und dazwischen, wenn es urplötzlich still wurde, einen Herzschlag lang nur, rauschte von fernher die Ostsee, war das Flügelschlagen des Insektes an der Scheibe zu hören.
    Viktor Seißler stand auf. Er öffnete die rechte Hälfte des Fensters. Die Wespe spürte den Luftzug und flog ins Freie hinaus. Von nebenan drang der Schrei des neugeborenen Kindes, ein Mädchen, das den Namen Friederike erhielt.
    „Ein wahrhaftiges Sonntagskind!”, beglückwünschte die alte Siepers den frischgebackenen Vater. „Das bedeutet, Gott hat das kleine Riekchen gern.”
    Trotzdem wurde Riekchen fünfundzwanzig Jahre später gegen ihren Willen auf ein Lager niedergezerrt – von einem Offizier, dem es gleichgültig war, dass sein Opfer einst an einem Sonntag auf die Welt gekommen war. Die alte Siepers war noch am Leben und mochte sich jetzt an ihren Ausspruch vielleicht nicht mehr erinnern. Überhaupt hielt das Leben für die Friederike Seißler ein großes Maß an Unglück und Kummer bereit. Der Krieg kennt keinen Sonntag. Die Zuversicht der alten Siepers war darum völlig fehl am Platz, es sei denn, man hält ihr zugute, ihre Worte seien nur als guter Wunsch gemeint gewesen, in welchem Vergewaltiger in Offiziersrang nicht berücksichtigt wurden. Denn schließlich – es war das Jahr 1919, als Friederike zur Welt kam, und überall auf der Welt riefen die Menschen: Nie wieder Krieg! Womit sie sagen wollten: Jedenfalls nicht bis zum nächsten, bis auf weiteres nehmen wir eine Pause vom Krieg. Und so wuchs Friederikchen auf mit dem bald vertrauten Rauschen der Ostsee in den Ohren. Noch wohnte man in Muddelmow, in einer Wohnung auf dem alten Rittergut, in dessen umliegenden Wäldern der Vater als Haumeister Dienst tat. Doch bald schon würde man umziehen in das eigene neue Haus, das Viktor Seißler bauen ließ, als auf Rieke nach und nach vier weitere Kinder folgten. 
    Schüchtern ist Rieke, obwohl sie doch die Älteste ist. Sie bleibt es, zurückhaltend, auch nachdem man sie eingeschult hat. Die Schule: vierundsechzig Kinder, erste bis achte Klasse, in einem einzigen Raum. Der Lehrer, Liebig mit Namen und unverheiratet, der den Jungen so gern bei der Feldarbeit zusieht, der begeistert ist, wenn ihre jungen Muskeln sich spannen, der Schweiß aus ihren Körpern tritt. Und Rieke an ihrem ersten Schultag, schweigsam sitzt sie in der Bank neben der flachsblonden Katka, die frecher ist als sie, keine Angst hat, vor nichts in der Welt, nicht vor ihrem Vater und schon gar nicht vor Liebig, der jetzt sein Wort an Rieke richtet, sie fragt: „Was ist Dein Vater?” – „Mein Vater ist ein Viktor”, antwortet sie und ruft tosendes Gelächter hervor, eine brandende, nicht enden wollende Heiterkeitsflut.
    Zwei Sommer darauf, Liebig ein Trinker, sein Gesicht aufgedunsen vom Rübenschnaps, der angeblich blöd machen soll. Katka tuschelt, flüstert Rieke etwas ins Ohr. Rieke wendet sich um, antwortet ihr. Liebig holt sein Taschenmesser hervor, klappt es auf, die Klinge blinkt in der Sonne, die durch die Fenster hereinsticht. Schleudert es

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