Pixity - Stadt der Unsichtbaren
keinen.«
»Siehste.«
Sie würden über Kloschüsseln gebeugt enden, das war klar. Aber im Kotzen hatten sie Erfahrung. Zum Nachtisch servierte Bentner das Blatt mit den Dossiers.
»Aber hallo.«
Für einen Moment hoffte er, sie könnte ihn mit einer scharfen Erwiderung, sein eigenes Dossier betreffend, liebkosen. Aber sie blieb Realistin und sagte lieber nichts.
Zerkleinerte das ihr zustehende Viertel der Käsesemmel, las noch einmal und kicherte.
»So what?«
»Du sagst es. Warum schreibt einer so was auf? Was bezweckt er damit?«
»Also sag’s mir.«
»Hm. Kannst du programmieren?«
Sie gab einen Schulkurs in Visual Basic zu, mittelmäßige Note, Bentner winkte ab.
»Nein, ich meine nicht Spaghetticode. Objektorientiert.«
Lisa stöhnte auf, »nee, keine solche Sauereien«, wischte sich die Krümel vom Kinn.
Na, sagte Bentner, dann solle sie sich vorstellen, allein in einer Wüste zu sein, »und am Horizont fällt dir ein Punkt auf, der näher kommt. Könnte eine ferngesteuerte Maschine sein, nein, ist es nicht, ist ein Lebewesen. Tier? Mensch? Du lässt es auf dich zu kommen, bis du erkennst, dass es sich um einen Menschen handelt. Eine Frau. Deine Freundin Corinne.«
»Aha«, atmete Lisa aus, »das Prinzip hab ich kapiert. Du gehst vom Großen zum Kleinen, vom Allgemeinen zum Besonderen.«
Sie sei ein kluges Mädchen, wollte Bentner sagen, verkniff es sich aber aus gutem Grund. Sagte also: »Yep. Das Wichtigste: Wenn aus diesem Etwas am Horizont langsam Corinne wird, werden ganz bestimmte Eigenschaften mittransportiert und jeweils der nächsten Stufe der Wahrnehmung weitergereicht. Ein Lebewesen hat spezielle Eigenschaften und tut spezielle Dinge – in der Programmierung nennen wir das –, die für alle möglichen Unterkategorien wie Menschen, Tiere, Pflanzen gleich bleiben. Atmen, wachsen, sterben und was einem ad hoc noch so einfallen mag. Die Klasse Mensch wäre demnach eine unvollständige Kopie der Klasse Lebewesen und nun mit ihren Eigenschaften und Methoden zu bestücken: Sie können sprechen und schreiben, sie fahren Auto und programmieren Waschmaschinen.«
Lisa hob einen Finger, schnippte, ganz ehrgeizig-aufmerksame Schülerin, und der Herr Lehrer erteilte ihr mit einem kurzen Wink das Wort.
»Dann wäre Corinne eine unvollständige Kopie von , in der bereits alles von steckt. Richtig?«
Jetzt sagte er es doch: »Kluges Mädchen«, und erhielt nicht einmal einen Stinkefinger zur Antwort, sondern nur ein eifriges »Hmhm«.
»Wenn ich das – sehr grob, versteht sich – auf die Programmierung übertragen würde, dann vielleicht so: Objektorientierte Programmierung heißt, dass ich ein System von Ober- und Unterklassen definiere, von denen ich, wann immer es mir beliebt, Objekte erschaffen kann. Ich muss das nur einmal tun, denn diese Klassen stehen mir immer zur Verfügung. Eine enorme Arbeitserleichterung also. Man könnte das etwa so schreiben: Corinne = Lebewesen.Mensch.new() . Oder: Lisa = Lebewesen.Mensch.new() . Kümmer dich nicht um die leeren Klammern hinter new . Das erklär ich dir gleich. Wichtig: In diesem Moment sind sowohl Corinne als auch Lisa identisch, sie sind Objekte, die alles in sich vereinen, was Lebewesen und Menschen zwingend aufweisen müssen, um Lebewesen und Menschen zu sein.«
»Hm«, brummte Lisa, »aber was ist mit Hubert und Sascha und, ähm, Kevin?«
»Kein Problem. Irgendwo in meiner Klasse Mensch lauert eine Variable, nennen wir sie . Ich habe sie deklariert, aber ihr noch keinen Wert zugewiesen. Das kann ich zum Beispiel dann tun, wenn ich mit new() ein neues Objekt erschaffe. New() ist eine Funktion, in der leeren Klammer kann ich Parameter übergeben, die in einer festgelegten Reihenfolge solchen Variablen zugeordnet werden. Für also, sagen wir: w und m oder 1 und 0 .«
»Danke für die 1«, sagte Lisa. »So langsam begreife ich auch, warum man ständig so Formulare ausfüllen muss, wenn man sich irgendwo anmeldet. Der Pixity-Account. Da zockst du den Leutchen deine Parameter ab und machst sie zu Individuen.«
»Deine Auffassungsgabe ist fulminant«, sagte Bentner und schrieb es auf ein Blatt Papier: PixieNeu = Pixie.Create.new(»Marie«, »lena123«, »w«, 14, »Köln«) . So ungefähr, wenn auch stark vereinfacht. Die 14-jährige Marie aus Köln hat sich mit dem Passwort neu angemeldet. In der Funktion
Weitere Kostenlose Bücher