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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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zurück. Dann die Kippe vorsichtig an der Hauswand ausdrücken und in ein Papiertaschentuch wickeln, das Papiertaschentuch in der Hosentasche verstauen. Wenn du gleich anfängst zu brennen, bist du selber schuld.
    Er nahm ein neues Album aus dem Regal. Überblätterte Fotografien, die sehr nach Omas und Opas, Onkeln und Tanten aussahen, kam zu einer Reihe schlecht ausgeleuchteter, grobkörniger Bilder, offenbar in einer Diskothek aufgenommen, einmal posierte im Hintergrund John Travolta, Ende der Siebziger also. Auf einer der Aufnahmen dann der Kopf, den Alina herausgeschnitten und auf so viele andere Körper gesetzt hatte. Hier saß er auf einem jungen, knapp bekleideten Körper, ein enger kurzer Rock, schwarze Lackstiefel, ein Lederwestchen, das wirklich nicht Weste genannt werden durfte, aus dem die Brüste zu springen drohten. Die Frau trug eine Perücke im Kleopatrastil, ihr Gesicht war geschminkt. Unter dem Bild stand, mit rotem Filzstift und in Großbuchstaben:   DIE HURE .
    Alina mit acht oder neun, eine lustige Zahnlücke zeigend. Alina mit sechs, die Schultüte vor dem Leib. Alina mit fünf, vier, drei, zwei, eins, jeweils auf dem Arm dieser Frau, die ebenfalls immer jünger wurde, und auf dem Arm eines Mannes, der immer ein anderer war.
    Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden. Bentner stellte die Alben zurück, ein Ordner »Garantiescheine« fiel ihm auf, er nahm ihn heraus. Alina hatte in den letzten vier Monaten drei Laptops gekauft, alles Discounterware, billig, solides Mittelmaß. Er dachte sofort an Anna und glaubte es nicht.
    Alina war noch mit ihren Damen zu Tisch, als Bentner in die Firma zurück kam, den Schlüssel an seinen Platz legte, Kaffee kochte und selbst wie Lisa zuvor an einem Wurstbrötchen knabberte. Immer noch dieser ereignislose Himmel, der nichts versprach und mit nichts drohte, den Schnee zum Schmelzen brachte, aber auch das nachlässig. Derweil sich die Pixies über weiße Straßen bewegten, in weißen Parks herumtollten, wo der Schnee auf ewig jungfräulich blieb, der Himmel blau, als brenne eine Sonne aus ihm, die doch keine Kraft hatte. Alle physikalischen Gesetze waren aufgehoben. Lautlos jauchzende Pixies stürzten sich auf Schlitten einen künstlichen Hang hinunter (1 PD pro Fahrt, Zehnerkarte für 9) und waren mit einem Klick wieder oben. Und mit einem weiteren im Schwimmbad bei Eis und kühlen Getränken, Schneemenschen in knappem Badezeug.
    Anna_lieb_dich: hallo rick
    Rickboy_16: hi anna
    Anna_lieb_dich:   gehst immer ins schwimmbad am liebsten gell?
    Rickboy_16: jaaaaa. du auch
    Anna_lieb_dich: yep
    Konnte das Alina sein?   mom , tippte Bentner, ging in Alinas Büro. Sie war nicht da, ihre Tasche noch am Platz. Zurück.
    Rickboy_16: sorry muss ma
    Vor zu Almuth, schnell, schnell.
    Die schrieb, Lesebrille auf der Nase, das Protokoll von heute Morgen, sah auf, eine Spur ärgerlich ob der Störung, hatte sich gleich wieder im Griff.
    »Frau Marschall macht noch private Besorgungen und dürfte«, Blick in die rechte untere Ecke des Computers, »in einer Stunde noch einmal in die Firma kommen.«
    »Danke« sagen und weg. Noch einmal   sorry , ein   hast pipi gemacht?   zurück.
    Ein paar Sekunden lang sah Bentner die letzten Einstellungen eines Kriminalfilms, endgültige Auflösung aller Rätsel. Eine Frau sitzt an einem großen Tisch, drei Laptops in Reih und Glied vor sich. Sobald die Hände die Tastaturen wechseln, wird aus der Frau eine andere, aus dem kleinen Kind die große Kindsverderberin, aus der wieder das kleine Mädchen und das alles ist eine Person, eine wirkliche Person, die selbst wie ein Roman aus Bruchstücken geschaffen wurde, biografischen Splittern und Albträumen, dem Gesichtsausdruck auf Bildern und dem Horror, den man später in ihnen zu erkennen glaubt.
    Eine Mutter und wechselnde Väter, Dinge, die man aus den alten Fotografien nur erahnen kann, männliche Hände, die über zitternde Kinderkörper gleiten oder auch nicht, vielleicht, wer weiß. Eine Mutter, die nur als stöhnende, lustschreiende Lärmquelle in der Erinnerung verblieben ist, das Kind mit der Decke über dem Kopf, oder als spärlich in Stoffe gepackte Gummipuppe.
    Und dann? Geht die Tür auf, die Frau vor ihren Rechnern bekommt es nicht mit, und jetzt wird es ziemlich lächerlich, wenn sich die Hand des Gesetzes auf die Schulter der Frau legt und der Mund des Gesetzes sein »Sie sind verhaftet, Frau Marschall« murmelt. Nein, da fehlt zu viel.
    bist noch da?
    yep , antwortete

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