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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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gut, wenn du dir den mal anguckst. Wahrscheinlich weiß er genauso wenig wie der Rest. Was Hoffmann angeht, ist das ein Tal der Ahnungslosen da draußen.«
    »Wanser geht klar. Konferenz morgen um halb neun. Kallweit hat ne Stunde vorverlegt.«
    »Wird ja wieder ein grandioses Wochenende.«
    »Allerdings. Die Papiere hab ich bis dahin noch nicht durch, das sag ich dir gleich.«
    »Und die Explosion? Gasleitung?«
    »Niemand weiß was. Das macht das K5 höchstpersönlich, also absolutes Schweigen. Ach so, bevor ich’s vergesse, amouröse Briefe haben wir bei Hoffmann gefunden, so was haste noch nicht gesehen, fünfzig Prozent Herzschmerz, fünfzig Prozent Politik.«
    »Von der jungen Schönheit?«
    »Nee, die sind uralt. Das ist fünfundzwanzig Jahre her. Nur mit einem Kürzel unterschrieben, M . T.«
    »Fraglos, die Zeit hasst die Liebe.«
    »Mon commandant«, sagte Frankenstein militärisch, »ich muss weitermachen. Bis morgen.«
    »Halb neun.«
    »Leider.«
    Wegener stand von seiner Bank auf, warf die leere Bierflasche in einen Abfallkorb und versuchte sich vorzustellen, dass die vergammelten Reste seiner Eltern tatsächlich zwei Meter unter ihm in dieser kalten Erde lagen. Immerhin hatte ihnen irgendjemand das Efeu gestutzt. Vielleicht die Angehörigen von Eduard Wickensack, 1912–1993, der nebenan lag. Oder der kettenrauchende Sohn der Friedhofsgärtnerei Dierssen.
    Im nächsten Sommer pflanze ich, dachte Wegener, ich pflanze ein Beet, das so geblümt ist wie Erna Bocks Schürzen. Ein Schürzenbeet.
    Dann ging er über die Grablichterstartbahn in Richtung Westausgang.
    *
    Als er fünf Minuten später vor Karolinas beigebraunem Gründerzeitbau in der Colombetstraße stand, wünschte Wegener, er hätte fünf Bier getrunken und nicht nur eins. Selbst Verzweiflungstaten wurden immer schwieriger, je länger die Beziehung zurück lag. Am Anfang hatte er es ein paar Mal geschafft, den waidwunden, besoffenen Liebeskranken zu geben und mitten in der Nacht zu klingeln, ohne sich zu schämen. Irgendwann hatte sich die Scham eingestellt und war nie mehr verschwunden. Mit dieser Scham konnte er nicht mehr klingeln. Egal, wie viel er getrunken hatte. Seine nächtliche Zwangshandlung war zum Plan verkommen. Also durchdacht. Also inklusive zahlreicher Hintergedanken. Selbstmitleid, Eifersucht, Wut und natürlich die Hoffnung auf einen schwachen Moment, der vielleicht zu einer spontanen Vögelei führen konnte, wenn man mit einer Flasche Rotkäppchen Damenwahl nachhalf.
    Sein Voyeurshauseingangsversteck wie immer: dunkel und leer.
    Bei Karolina brannte Licht. Das letzte Stadium einer Beziehung ist das Beobachten des anderen, dachte Wegener, das Abzählen von erleuchteten Fenstern, das Draußensein, während der andere drinnen ist. Nur noch zusehen. Oder zuhören. Teilnehmen, ohne in Erscheinung zu treten. Vielleicht war das ja eine Hauptmannskrankheit. Vielleicht sogar eine Osthauptmannskrankheit. Obsessive Observation. Das Ausleben einer Liebe, die man dem anderen nicht mehr zeigen darf. Weil sie nicht mehr vorzeigbar ist. Eine Liebe, die man nur noch sich zeigt. So eine Liebe ist vielleicht gar keine Liebe mehr, dachte Wegener, so eine Liebe ist vielleicht schon nur noch die Lust am eigenen Leid. Er zog das Minsk aus der Hosentasche und wählte. Nach dem vierten Freizeichen nahm sie ab.
    »Martin, ich kann gerade nicht.«
    »Schade. Sonst hätte ich noch geklingelt.«
    »Tut mir leid.«
    »Mir auch.«
    »Wo bist du?«
    »Auf dem Friedhof, und du?«
    »Im Ministerium.«
    Früchtl stöhnte im Gehirn, das Stöhnen eines ausgiebig Gefolterten, dem gerade der Folterplan der nächsten Woche aufgemalt wird.
    Wegener spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Das erleuchtete Fenster. Karolina vergaß niemals, das Licht auszuschalten, wenn sie das Haus verließ. Für eine Sekunde glaubte er, einen Schatten gesehen zu haben. Einen Schatten, der sich hinter der Gardine bewegte. Viel größer als ein Frauenschatten. Eher der Schatten eines hochgewachsenen Mannes. Ein Brendelschatten.
    »Martin?«
    »Dachte, du hast wenigstens Samstagabend frei.«
    »Die Konsultationen. Ich muss tausend Sachen regeln.«
    »Lässt du mir gerade das Gas abstellen?«
    Karolina lachte nicht. »Ich meld mich morgen. Oder war was?«
    »Wollte nur wissen, ob du heute Mittag im Palast warst und ich dich für den Rest meines Lebens pflegen muss.«
    Das wäre die Lösung, sagte Früchtl, dann darfst du die Frau endlich anschauen, solange du willst, sie kann

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