Plan D
keinen Hamburger Royal essen dürfen.
»Keinen was?« Kallweit glotzte Frankenstein an.
»Keinen Hamburger Royal.«
»Lecker.« Kayser schmatzte. »Schönes, dickes Rindfleischpatty.«
Kallweit ging sich mit der Zunge über die Lippen.
Ein Ochse, der dumpf seine eigene Schlachtung ahnt, dachte Wegener, und der langsam Angst bekommt, als schönes, dickes Patty auf einem Hamburger Royal zu enden.
»Das ist aus dem Vorwort von Gerechtigkeit, satt «, sagte Frankenstein, hielt ein blaues Buch mit einem Leihbüchereisiegel hoch und las den Untertitel vom Umschlag ab: » Wie wir den Systemkrieg überwinden.«
»Und das ist von Hoffmann«, stellte Kallweit fest.
Frankenstein nickte. »Im ersten Kapitel geht es darum, dass sogenannte entartete Mischformen von Kapitalismus und Kommunismus in China oder Vietnam als Modelle für Deutschland ausscheiden, weil diese Systeme ausschließlich durch Korruption un d …«
»Ja, ja.« Kallweit winkte ab. »Wann ist der Hokuspokus erschienen?«
»Vor zwei Jahren. Im Aufbau-Verlag. Das Buch war Hoffmanns letzte Publikation, laut Bibliothek so was wie eine Zusammenfassung und Aktualisierung seiner Texte zum Posteritatismus aus den siebziger und achtziger Jahren.«
»Po-was?«
»Posteritatismus«, sagte Frankenstein stolz.
»Und?«
»Ich denke, wir müssen uns klarmachen, dass Hoffmann, wenn man so will, ein Freund beider politischen Systeme war. Und damit auch ein Feind beider politischen Systeme.«
Kallweit hatte immer noch den Ochsenblick. »Das bedeutet?«
»Dass wir hinsichtlich des Mordmotivs keinerlei Eingrenzung vornehmen können«, sagte Brendel. »Falls wir es überhaupt mit einer politisch motivierten Tat zu tun haben.«
Kallweit seufzte. »Schlecht. Weiter.«
Frankenstein zog Blätter mit handgeschriebenen Notizen aus einer Klarsichtfolie.
»Im Schnelldurchlauf, bitte«, sagte Kallweit und sah auf die Uhr, »ich hab noch vierundzwanzig Minuten.« Er tippte mit seinem krummen Zeigefinger auf die Volkswacht , die vor ihm auf dem Tisch lag. Der Palast der Republik prangte sechs Spalten breit auf dem Titel, das schwarze Loch klaffte mitten in der goldenen Fassade: ein vor Schreck aufgerissener Mund. In dem Mund krümmten sich Stahlträger, darüber hing das rußgeschwärzte Staatswappen.
»Also im Schnelldurchlauf«, sagte Frankenstein. »Die Befragung der Nachbarschaft hat so gut wie nichts ergeben. In der Greifenhagener Straße kannten sie Hoffmann immerhin, er wurde ausnahmslos als, Zitat, freundlich und zurückhaltend beschrieben. Man hat ihn seit seinem Einzug, das war 2009, auch mehrmals in Begleitung der jungen Frau gesehen. Hand in Hand.« Frankenstein machte eine dramatische Pause. »Es gibt aber keinerlei Hinweise zur Identität des Mädchens. Immerhin wurde bestätigt, dass Hoffmann eine Putzfrau hat. Kommt wohl immer montags. Also warten wir morgen auf sie.«
»Finanzielle Verhältnisse?«, fragte Kallweit.
»Zwei Mehrfamilienhäuser in Heidelberg, komplett vermietet. Da kommen monatlich nach Abzug aller Kosten rund 500 0 Euro aus Westdeutschland rüber. Dagegen sieht seine DDR-Rente bescheiden aus, circa eintausendvierhundert Mark. Als Emil Fischer hat er mit Rosenschneiden durchschnittlich 45 0 Mark im Monat verdient. In den Wintermonaten war er ja nicht in Wandlitz.«
»Diese Einnahmen dürften seinen Lebensstandard problemlos gedeckt haben«, sagte Wegener. »Er war also finanziell unabhängig.«
Kallweit ließ seinen Ochsenblick durch die Runde wandern. »Die Emil-Fischer-Wohnung in Marzahn war gemietet?«
»Ja«, sagte Brendel. »Vermutlich hat eine Mietwohnung die Sicherheitsüberprüfung durch Wandlitz damals vereinfacht.«
Kallweit rieb sich mit seinen krummen Zeigefingern die Augen. »Gibt es Kollegen aus seiner aktiven Zeit in der Politik?«
Frankenstein ließ die Papiere sinken. »Das Innenministerium konnte uns keine Namen nennen. Wir haben bislang nur diesen früheren Heidelberger Kollegen, einen Doktor Werner Blühdorn. Der kommt praktischerweise übermorgen für einen Vortrag an die Humboldt, danach sprechen wir mit ihm. Was uns fehlt, ist jemand aus Hoffmanns Zeit im Beraterstab von Krenz.«
Kallweit schüttelte so heftig den Kopf, dass die Hängebacken wackelten. »Haben Sie den Säcken klargemacht, welche Tragweite diese Angelegenheit hat?«
»Hoffmann war damals eine Art externer Mitarbeiter«, sagte Frankenstein.
»Der saß nicht den ganzen Tag im Ministerium.«
Karolina sitzt auch nicht den ganzen Tag im Ministerium,
Weitere Kostenlose Bücher