Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Dörfern. Er verursachte eine Zerstörung im Wert von geschätzten 100 Millionen Dollar (das wären rund 1,378 Milliarden heute), darunter 480 Kilometer Eisenbahnstrecke, Wälder von Telegraphenmasten, unzählige Brücken, Mühlen und Baumwollspinnereien; 5.000 Pferde, 4.000 Maulesel und 13.000 Stück Vieh wurden beschlagnahmt sowie 9,5 Millionen Pfund Mais und 10,5 Millionen Pfund Tierfutter.
Es war eine dieser amerikanischen Aktionen, die wir »overkill« nennen: Irgendwann muss Schluss sein, also demonstriert man so viel Macht wie möglich, viel mehr, als notwendig und angebracht wäre, damit der Ofen endlich aus ist. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Das war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass wir zu unserem letzten Mittel, zum »overkill« gegriffen haben. Wir haben es im Lauf der Geschichte nur unterschiedlich genannt, von »manifest destiny« bis »waterboarding«, und egal, wie wir uns fühlen, wenn wir danach wieder zu Sinnen kommen, es ist als Option nie völlig aus unserem Hinterkopf verschwunden. Der misslungene Versuch unter George W. Bush zum Beispiel, den Irak innerhalb weniger Wochen mit einer »shock and awe«-Strategie in die Knie zu zwingen, war zumindest als »overkill« gemeint. Es gibt etwas in der amerikanischen Mentalität, das gern überreagiert, damit das Hin und Her vorbei ist und endlich Klarheit herrscht. »Sherman’s March« war in diesem Sinne eine Vorwegnahme der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki: Egal, wie schrecklich es ist, es funktioniert, das ist alles, was dann noch zählt.
Und es funktionierte.
Sherman zerstörte so viel Infrastruktur, dass die Armee des Südens nachhaltig getroffen war und kaum noch versorgt werden konnte. Vor allem aber war der Mut der Südstaatler gebrochen. Die Desertationen nahmen zu, und im April des nächsten Jahres war der Krieg vorbei.
Im Süden hasst man Sherman bis heute, im Norden feiert man ihn. Im Norden muss man aber schon aufpassen in der Schule, um zu wissen, wer Sherman war und für was er steht. Im Süden hingegen weiß es jedes Kind. Man kann ein Leben lang in New York, Chicago oder Baltimore leben, ohne einmal an den Bürgerkrieg zu denken. Im Süden vergeht kein Tag, an dem man nicht an ihn denkt oder die Nachwehen der damaligen Ereignisse spürt. Der Bürgerkrieg definiert den Süden bis heute.
Das hat Lincoln wohl geahnt. Das Problem bei jedem Sieg ist ja, der Besiegte ist fortan nicht mehr glücklich. In diesem Fall musste der Sieger aber weiterhin mit dem Besiegten leben. Das war ja der ganze Sinn des Krieges, die Einheit der Vereinigten Staaten zu erhalten. Das Zusammenkitten hinterher würde sich als schwieriger erweisen als der Krieg selbst.
Sofort starteten die Nordstaaten also eine groß angelegte, gut gemeinte und von zweifelhaftem Erfolg gekrönte Wiederaufbaumaßnahme, genannt »reconstruction«. Im Zuge dessen zogen massenweise Nordstaatler in den Süden, um zu »helfen«. Oft reisten sie mit den damals im Norden modischen Reisetaschen aus dicken recycelten Teppichen – den »carpet bags« (»Teppichtaschen«). Der Ausdruck »carpetbagger« steht heute noch für einen Betrüger, der die Kleinstädter an der Nase herumführt, sie ausnimmt und wieder verschwindet.
Die »Helfer« aus dem Norden drängten in die kaputte politische Landschaft, in die Firmen, sie kauften ganze Plantagen für einen Appel und ein Ei, rissen Fördergelder an sich und klärten die Südstaatler großzügig über ihre eigenen Fehler auf. Und sie taten es auf allen Ebenen, vom Kleinganoven bis hin zum korrupten Gouverneur. Sie sahnten ab. Sie wurden reich, während die gebrochenen Südstaatler arm blieben. So vollendeten die Nordstaaten ihr Werk der Zerstörung und Demütigung, indem sie die am Boden liegenden Südstaatler noch mal richtig ausweideten.
Der Gouverneur Robert K. Scott zum Beispiel verdiente ein Vermögen mit dem Erlass von Begnadigungen gegen Bares. Andere fälschten die Verwaltungsausgaben und bereicherten sich mittels getürkter Rechnungen zum Beispiel für Druckerzeugnisse (es ist ganz erstaunlich, wie viele Formulare und Bekanntmachungen eine Regierung drucken muss, auch wenn man das meiste davon nie sieht). Die Kosten für die Volkszählung 1869 in South Carolina zum Beispiel waren mysteriöserweise fast doppelt so hoch wie die der Volksbefragung in den gesamten USA im Jahr darauf! Die Druckkosten von Louisiana explodierten in drei Jahren gar auf das Zehnfache. Und hinzu kamen in dem
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