Planeten 03 - Venus
Grabesstimme.
»Alle«, bekräftigte Marguerite mit bebender Stimme und den Tränen nahe.
»Und wir werden auch bald tot sein«, ertönte Duchamps Stimme, »wenn wir die Leinen nicht sofort runterlassen.«
Das Schiff bockte wild und schlingerte wie in einem stürmischen Meer. Der Wind pfiff durch das klaffende Loch, wo sich die Nase der Gondel befunden hatte. Ein alberner Gedanke schoss mir durch den Kopf: Wieso ersparten wir uns nicht den Weg durch Luftschleuse und sprangen gleich aus der zerklüfteten Vorderseite der Gondel.
Durch den Lautsprecher hörte ich Rodriguez’ schweren Atem. Zumindest glaubte ich, dass es sich um Rodriguez handelte. Marguerite war schließlich auch noch da, und Duchamp musste inzwischen auch zu uns unterwegs sein.
»Beeilung!«, schrie Rodriguez, als ob die Funkgeräte der Anzüge nicht funktionierten.
»Die Leine runter!«
Wenn ich auch nur für einen Sekundenbruchteil darüber nachgedacht hätte, dann wäre ich wohl vor Angst erstarrt. Doch dafür war nun keine Zeit. Ich packte die Leine mit beiden Händen.
»Die Servomotoren werden Sie halten«, sagte Rodriguez. »Schlingen Sie die Stiefel in die Leine, um die Arme zu entlasten. Wie Zirkusakrobaten.«
Ich wagte einen Versuch, vermochte die Leine aber nur um einen Fußknöchel zu wickeln. Die Servomotoren am Rücken der Handschuhe schlossen die Finger um die Leine – das war schon mal viel wert. Ich musste nur noch darauf achten, dass ich nicht den Fehler beging, die verdammte Leine mit beiden Händen zugleich loszulassen. Und so hangelte ich mich abwärts.
DER FALL
Es war ein hartes Stück Arbeit, sich an dieser baumelnden und rutschigen Schlange aus verbundenen Leinen abzuseilen. Ich war in kalten Schweiß gebadet, und das Herz schlug mir bis zum Hals, während ich versuchte, die Leine um die Stiefel zu schlingen, um die Arme zu e es
entlasten. Ich schafft
jedoch nicht, Halt zu finden. Stück für Stück hangelte ich mich die Leine hinab, wobei die servounterstützten Handschuhe sich im Takt schlossen und öffneten wie die arthritischen Hände eines alten Manns.
Die Lucifer schien tausend Kilometer unter mir zu stehen. Ich sah, dass das Ende der Leine zehn Meter oder mehr über dem Steg baumelte, der sich über die Gashülle des Schiffs zog. Mir kam es wie hundert Meter vor. Oder tausend. Wenn ich das Ende der Leine erreichte, würde ich auf jeden Fall springen müssen. Falls ich es überhaupt bis zu m Ende der Leine schaffte.
Und während ich abstieg, hörte ich die ganze Zeit die gellenden Schreie der todgeweihten Besatzungsmitglieder. Das Bewusstsein spielte mir ständig dieses langgezogene wimmernde ›Hiiilfeeee!‹ vor. Was ich wohl schreien würde, falls ich das Schiff verfehlte und in den feurigen Schlund der Hölle stürzte?
»Schicken Sie die anderen runter«, ertönte Fuchs’ tiefe, raue Stimme im Lautsprecher. »Zögern Sie nicht länger! Steigen Sie sofort ab!«
»Nein«, sagte Marguerite. Ich spürte ihren Widerstand und hörte ihren schweren Atem.
»Warten Sie ...«
»Wir haben viel zu lang gewartet«, sagte Rodriguez. »Los jetzt!«
Ich schaute nach oben und sah, dass eine weitere Gestalt sich abseilte.
Die Person im Raumanzug war nicht zu identifizieren, aber ich glaubte, dass es sich um Marguerite handelte.
Sie seilte sich wesentlich schneller ab als ich und nutzte die Leine geschickt als Führung für die Füße. Hatte sie mir einmal erzählt, dass sie Bergsteigerin war? Ich erinnerte mich jedenfalls nicht. Zumal ich wirklich andere Sorgen hatte.
Ich versuchte, den Abstieg zu beschleunigen und verlor prompt den Halt. Ich ließ die Leine mit einer Hand los, als auch die andere sich schon wieder öffnete. Die Servomotoren für die Steuerung des Exoskeletts haben eine eingebaute Verzögerung: Wenn die Finger gekrümmt werden, setzen die Motoren erst nach einer kurzen Pause ein. Die Handschuhfinger öffneten sich also und lösten den Griff um die Leine, während ich sie verzweifelt wieder zu schließen versuchte.
Nun steckte ich in der Klemme. Mit einer Hand ruderte ich in der Luft, und die andere löste den Griff um die Leine. Wenn ich nicht so voll von panischer Angst gewesen wäre, dann hätte ich mich bestimmt übergeben.
Ich griff mit der freien Hand nach der Leine, bekam sie zu fassen und schloss die Finger, so schnell und fest ich konnte. Ich glaubte zu hören, dass die Servomotoren wütend aufheulten; aber das musste wohl Einbildung gewesen sein, weil ich sie noch nie durch den
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