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Plattenbaugefühle: Jugendroman

Plattenbaugefühle: Jugendroman

Titel: Plattenbaugefühle: Jugendroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jannis Plastargias
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Ismets Reaktion. Schlimm genug, dass ich mich nach Afyon sehne, schlimm genug, dass Ismet mich so scheiße angemacht hat, und dann noch meine Aufregung über das Theater am nächsten Tag – das erste Mal zur Probe – ich liege wach in meinem Bett.
    »Du kriegst das bestimmt hin!« Omama kann mich am Telefon beruhigen, »Theater spielen passt wunderbar zu dir«, sagt sie überzeugt.

    »Wir machen zuerst eine Aufwärmübung«, sagt Anja, die Leiterin der Theatergruppe, die weite bequeme Hosen trägt, ihre blonden Haare stehen wirr zu Berge, ihr Aussehen scheint ihr egal zu sein. Ich habe noch nie etwas Derartiges gemacht und verstehe den Sinn dahinter nicht. Paula, ein kleines, rotblond gelocktes Mädchen – mit bunten, stylischen Klamotten – muss mich durch Berührungen führen. Wir strecken unsere Hände jeweils gegen die andere Hand, unsere Finger haben die Aufgabe die Richtung anzugeben, wohin der Geführte laufen muss. Durch die Intensität ihres Fingerdrucks soll ich meine Geschwindigkeit regulieren. Da ich alles nicht so genau verstehe, laufe ich viel zu schnell und bekomme die feine Wahrnehmung nicht mit.
    Anja gibt sich Mühe und erklärt mir das Verfahren in aller Ruhe. Ihre Stimme ist sehr angenehm, sie redet leise. Paula führt mich noch einmal. Ich spüre ihren Fingerdruck, bin behutsamer als vorher, gehe langsamer, schreite fast rückwärts. Dann führe ich sie, berühre sie nur sanft und wundere mich, dass sie überhaupt etwas spürt und versteht, was ich gerade von ihr möchte.
    Wir machen viele solcher Übungen, bevor wir überhaupt mit dem ›richtigen‹ Schauspielen beginnen. »Das gehört zum Hineinkommen«, sagt Anja mit ihrer samtenen Stimme. Die anderen kennen dieses Vorspiel schon längst, für mich, den Neuling, ist es aufregend und hellt meine Stimmung total auf. Ich fühle mich, als ob ich mich in anderen Dimensionen bewege. Frei und stark und selbstbewusst.
    »Bist du neu in der Stadt?« In der Pause zeigt Paula Interesse an mir. Ihre mandelförmigen Augen erforschen mich neugierig. Sie schmunzelt, als ich ihr von meiner Schule und dem K6 erzähle. »Das ist ganz schön ungewöhnlich!« sagt sie ungläubig.
    »Was soll dabei so ungewöhnlich sein?« wundere ich mich.
    »Jonas, du bist der einzige in dieser Gruppe, der sowohl in Kranichstein wohnt als auch auf die EKS geht!« antwortet sie und schmunzelt wieder.
    Ich betrachte die Gruppe – die anderen zwei Jungs und die acht Mädchen sehen so wie meine Mitschüler in Berlin, nicht wie meine auf der EKS. Im ersten Moment war mir das gar nicht aufgefallen – dass ich nämlich ebenso gut in der Theater-AG meiner alten Schule sein könnte. Als ich in Schöneberg war, wusste ich noch gar nicht, wie kreativ ich bin, wie schön ich das Theater spielen finden könnte. Einiges wird mir erst in diesen Moment klar. Die Jungen haben einen ganz anderen Style als Afyon oder Mohammed, der gar nicht so heißt, sind viel leiser als Shad M., reden ganz anders – und sie sind eher blond- und hellbraun- als schwarzhaarig. Genauso die Mädchen. Wieder frage ich mich, wieso ich auf die EKS geschickt wurde, wieso sich meine Mutter nicht mit ihrem Wunsch, mich auf die Comenius-Schule zu schicken, durchgesetzt hat. Mein spießiger Vater, der Angst hatte, dass meine zukünftigen Arbeitgeber mich für einen Phantasten halten könnten, und nicht einstellen würden, nur weil ich auf einer freien Schule unterrichtet wurde.
    Ich muss gleich bei der ersten Szene mitspielen. Natürlich bin ich aufgeregt. Anja gibt mir den Text, erklärt mir die Szene und wie ich mich zu fühlen habe. Ich lese mir den Dialog durch – zweiter Akt, dritte Szene, spielt in der ursprünglichen Fassung in Verona – jetzt in Kranichstein. Ich stelle Lorenzo dar, der Mönch ist. In der Szene, in der wir uns gerade bewegen, sind wir im Kräutergarten einer Schule, denn ich bin jetzt junger Pfarrer ohne Gemeinde und Religions-Lehrer an dieser Schule und kein Ordensbruder mehr. Gerade bewirtschafte ich den Garten und kenne mich mit den Heilpflanzen sehr gut aus. Romeo, der von Julian gespielt wird, kennt mich gut, er ist ein Freund von mir. Er kommt und bittet mich, die heimliche Vermählung mit Julia, die von Paula gespielt wird, vorzunehmen. Ich kritisiere Romeo-Julian, zuerst, weil er Rosalinde-Beate, so schnell vergessen hat. Sie ist seine Ex-Freundin. Ich-Lorenzo, willige dann doch ein, denn Julia und Romeo gehören zwei Familien an, die sich seit langer Zeit streiten, und ich möchte

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